Analyse: „Können nur noch beten“
Athen (dpa) - Ein Land verliert den Glauben an die Zukunft. „Die Herrschaft des Pöbels ist keine Lösung. Sie ist der Weg zur Auflösung“, schreibt ein Leser auf der Internetseite der Athener Zeitung „To Vima“.
Die Bilder der Gewalt auf dem Athener Syntagma Platz erschrecken am Mittwoch viele Griechen.
Nahezu drei Wochen machten Tausende Tag für Tag im Herzen Athens ihrer Verzweiflung und ihrem Ärger angesichts der harten Sparmaßnahmen Luft - friedlich, bis die Stimmung explodierte. Rechtsextreme, linke Autonome, Arbeitslose, Studenten ohne Aussicht auf einen Job, aber auch langsam um ihre Privilegien gebrachte Beamte Staatsbedienstete sowie Hausfrauen und Rentner waren auf dem Platz zu finden.
Wirkung hatte die Eskalation offensichtlich auch auf den sozialistischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou. Nach Informationen aus der Regierung bot er der Opposition seinen Rücktritt an und schlug die Bildung einer Regierung der „Nationalen Einheit“ vor. Papandreou soll bereit sein, dafür auf sein Amt zu verzichten, hieß es weiter. Ein verzweifelter Schritt, das Land regierbar zu halten. Allerdings dementierte er dies am Abend im staatlichen griechischen Fernsehen: „Ich setze den gleichen Kurs fort mit der Partei und dem griechischen Volk.“
Ob sich die bürgerliche Partei Nea Dimokratia (ND) wirklich in die Pflicht nehmen lässt, blieb offen. Wer die schmerzhaften Reformen für neue weitere Milliardenhilfen beim Volk durchsetzen muss, kann auf wenig Sympathie beim Wähler hoffen.
Und viele Griechen brachen inzwischen ohnehin mit ihrer politischen Klasse. Was wirklich in ihrem Land passiert, ist schwer zu verstehen. Frisches Geld aus Europa fließt sofort in den Schuldendienst. Die Einkommen sinken, die Steuern steigen. Und dennoch wächst der Schuldenberg trotz aller Sparmaßnahmen. Wer soll das verstehen?
Dieses Klima von Wut und Unverständnis nutzten am Mittwoch gewaltbereite Demonstranten. Während eines von den Gewerkschaften organisierten Streiks, schlugen Autonome zu. Zunächst stießen sie mit Rechtsextremisten zusammen. Und diese keilten zurück. Binnen Minuten verwandelte sich der Platz vor dem Parlament in ein Schlachtfeld. Tausende friedliche Demonstranten flüchteten in Panik. Es gab Verletzte.
Vor diesem Hintergrund dürfte irgendeine Art der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition früher oder später unausweichlich sein. Die Medien des Landes berichteten, Papandreou und der Chef der bürgerlichen Opposition Antonis Samaras seien längst in Gesprächen, eine Art Übergangsregierung zu bilden, die das Land für ein paar Monate durch die schlimme Krise führen soll.
Wie es nach diesen Informationen weiter hieß, sollen über die Parteigrenzen hinweg akzeptierte Politiker und Experten die Ministerämter übernehmen. Den Griechen kann es nur recht sein, eine handlungsfähige Regierungsmannschaft angesichts der harten Verhandlungen mit den Gläubigern zu haben. „Wir können nur noch beten“, sagte eine 78-Jährige Rentnerin aus Kypseli, einem heruntergekommenen Viertel Athens. Sie muss mit 360 Euro im Monat auskommen. Ihre Miete zahlt ein Neffe - noch.