Analyse: Konflikte in Deutschland brechen auf
Berlin (dpa) - Seit Monaten schon, und lange vor dem 7. Januar 2015, erschrecken die islamfeindlichen Aktionen der Pegida-Bewegung die sonst eher schweigende Mehrheit der Deutschen.
Zehntausende gehen nicht nur für, sondern vor allem gegen Pegida auf die Straße. Millionen sind es nicht, aber doch mehr als seit vielen Jahren. Und dann kam, am Mittwoch vor einer Woche, das Attentat von Islamisten auf die religionskritische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris.
Nun könnte ein Konflikt, der in Deutschland seit Jahrzehnten eher schwelt, offen aufbrechen. Es geht um die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern der Zuwanderung, zwischen Islamfeinden und Anhängern der Toleranz, zwischen Pressefreiheit und denen, die der „Lügenpresse“ den Kampf erklären.
Alle Bundestagparteien schließen sich am Dienstag der Mahnwache der Muslime am Brandenburger Tor an. Bundespräsident Joachim Gauck ruft Fanatikern und Terroristen zu: „Euer Hass ist unser Ansporn.“ Auch bei der Deutschen Islamkonferenz kommt das Thema auf den Tisch. Eigentlich wollten die Vertreter von Politik und muslimischen Verbänden dort auch darüber reden, wie sich die Altenpflege für Muslime besser organisieren lässt. Doch der Terror von Paris und die Frage, wie es mit dieser Gesellschaft weitergeht, überschattet das Treffen.
Die Muslime verurteilen das brutale Attentat von Paris und rufen zu Besonnenheit auf. „In diesen schwierigen Zeiten müssen wir zusammenstehen“, sagte Erol Pürlü, Sprecher des Koordinationsrats der Muslime. Die Gesellschaft dürfe sich nicht von radikalen Extremisten auseinanderdividieren lassen und nicht zulassen, dass Extremisten den Anschlag für ihre perfiden Zwecke missbrauchten.
Es ist das erste Treffen der umstrittenen Islamkonferenz seit ihrem Neustart - und eigentlich sollten Fragen von Radikalisierung und Sicherheit hier nicht mehr zur Sprache kommen. Dieses heikle Feld hatte in der Vergangenheit für allzu viel Ärger gesorgt. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte die Runde 2006 eingesetzt, um für mehr Verständnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu sorgen. Nach Fortschritten in den ersten Jahren setzte aber schnell Ernüchterung ein.
Die Geschichte der Islamkonferenz erzählt auch, wie konfliktbeladen das Verhältnis zu den rund vier Millionen Muslimen in Deutschland ist. Um die Integration muslimischer Einwanderer mag es hier besser stehen als in Frankreich, aber Vorurteile und soziale Konflikte gibt es mehr als genug. Umfragen aus den letzten Monaten lassen zudem an Fortschritten im Zusammenleben zweifeln.
- Ressentiments gegen Muslime sind in der Bevölkerung weit verbreitet. In einer Studie zu rechtsextremen Einstellungen gaben zuletzt mehr als 30 Prozent der Bürger an, „durch die vielen Muslime“ fühlten sie sich „manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“.
- Knapp ein Drittel der Bundesbürger hält die Demonstrationen der Anti-Islam-Bewegung Pegida für richtig.
- Drei von fünf Befragten (58 Prozent) stimmten der Aussage zu: „Ich habe Angst vor dem zunehmenden Einfluss des Islam in Deutschland.“
- Mehr als die Hälfte der Deutschen begreift den Islam nicht als Teil Deutschlands. 52 Prozent teilen den Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff nicht, den erst am Montag auch Kanzlerin Angela Merkel sich zu eigen gemacht hatte: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Bundespräsident Joachim Gauck betont am Dienstagabend: „Die Attentate haben uns gezeigt, wie verwundbar die offene Gesellschaft ist. Aber sie haben auch bewirkt, dass wir uns neu besinnen. Die Terroristen wollten uns spalten. Erreicht haben sie das Gegenteil. Sie haben uns zusammengeführt.“
Ob aber in Deutschland tatsächlich etwas in Bewegung kommt in Richtung Integration und Zusammenhalt, ist noch lange nicht ausgemacht. Dabei geht es ja nicht nur um den Islam, sondern um die Rolle der Religionen insgesamt. Die vor allem in Ostdeutschland atheistisch und religionsfern geprägte Bevölkerung ist skeptisch gegenüber allen Glaubensbekenntnissen.
Der Kabarettist Florian Schroeder etwa kann mit verletzten religiösen Gefühlen gar nichts anfangen. „Ich fühle mich jeden Tag in meinen atheistischen Gefühlen verletzt, wenn ich an einem Kirchturm vorbeilaufe. Und trotzdem marschier' ich da nicht mit einer Kalaschnikow rein.“