Analyse: Löw muss K.o.-Puzzle um Schweinsteiger lösen
Santo André (dpa) - Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Das geliebte Campo Bahia konnten Deutschlands WM-Knipser Thomas Müller und dessen hochmotivierte Kollegen nur kurz genießen.
Am Samstag war schon wieder Reisetag für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Brasilien. „Entweder man gewinnt, oder man fährt nach Hause“, beschrieb Joachim Löw das prickelnde Playoff-Feeling im DFB-Quartier. Der Bundestrainer wird vor dem ersten K.o.-Spiel seines Teams bei diesem WM-Turnier am Montag (22.00 Uhr/ZDF) in Porto Alegre gegen den krassen Außenseiter Algerien immer mehr zur entscheidenden Figur.
Die Voraussetzungen für eine weiter erfolgreiche Weltmeisterschaft scheinen nach der Gruppenphase gegeben. „Einige Mitfavoriten sind schon ausgeschieden, deswegen ist es absolut positiv“, merkte Kapitän Philipp Lahm zum bisherigen Turnierverlauf an. Im Viertelfinale würde das DFB-Team als Achtelfinalsieger auf Frankreich oder Nigeria treffen. „Wir haben eine gute Spielanlage, sind dominant. Wir haben eine große Ballsicherheit“, benannte Mittelfeldmann Toni Kroos die Vorzüge seiner Mannschaft.
Aus dem Potenzial des Teams und den Erkenntnissen der drei Gruppenspiele gegen Portugal (4:0), Ghana (2:2) und die USA (1:0) muss Löw nun das richtige K.o.-Puzzle zusammensetzen, um nicht nur die kleinere Hürde Algerien zu überspringen, sondern im Anschluss auch gegen die Top-Gegner dieser WM zu bestehen. „Jetzt ist es entscheidend, dass man alles umsetzt. Kleinigkeiten entscheiden darüber, ob du rausfliegst“, betonte Miroslav Klose, mit vier WM-Teilnahmen, 15 WM-Toren und 134 Länderspielen der erfahrenste Akteur im 23-köpfigen deutschen Aufgebot.
Man habe ein großes Reservoir an taktischen und personellen Varianten, betonen Löw und seine Spieler immer wieder. Der 54-Jährige muss schon gegen die Algerier die richtigen auswählen, um nicht als „Staatsfeind Nummer eins“ nach Deutschland zurückkehren zu müssen, wie Löw im Vorfeld der WM formuliert hatte. Angesichts der Zielstellung Titelgewinn würde ein Aus in der ersten oder auch zweiten K.o.-Runde im Team selbst und in der Heimat als klare Enttäuschung gewertet werden. „Jetzt geht wieder alles von vorne los. Jedes Spiel zählt“, betonte Kapitän Lahm.
Vor allem die Auswahl der zentralen Mittelfeldspieler und des Offensiv-Personals dürfte wesentlich mit beeinflussen, ob der Weg tatsächlich über Porto Alegre, Rio de Janeiro und Belo Horizonte bis zum Finale am 13. Juli im Maracanã-Stadion von Rio führt. Lässt Löw den bei seinem Startelf-Comeback gegen die US-Boys überzeugenden Routinier Bastian Schweinsteiger im Team? Oder rückt wieder der um seine WM-Form ringende Sami Khedira in die Mittelfeldzentrale? Wie lange ist Mesut Özil noch die unumstrittene Kreativkraft? Und wie besetzt Löw die linke Offensiv-Seite am wirkungsvollsten?
Auf diese Fragen muss der Bundestrainer die richtigen Lösungen präsentieren. Im Training kann Löw in der K.o.-Phase angesichts des Vier-Tage-Abstandes zwischen den Playoff-Partien sowie der weiten Flugstrecken zu den Spielorten ohnehin nur noch beschränkt Einfluss nehmen. „Wir werden dosierter trainieren, eher kurze und intensive Einheiten“, verriet sein Assistent Hansi Flick schon.
Das 4-3-3-Spielsystem mit Lahm als Libero im Mittelfeld und vier Innenverteidigern in der Abwehrkette dürfte Löw kaum noch umschmeißen. „Es geht auch in den K.o.-Spielen in erster Linie darum, gut zu stehen. Das ist immer das A und O, nicht in Rückstand zu geraten“, betonte der Münchner Toni Kroos. „Es zeichnet unsere Mannschaft aus, dass wir sehr defensiv denken, dass jeder verteidigt. Das ist wichtig in so einem Turnier“, meinte auch Lahm. Aus der kontrollierten Dominanz, die Löw anstrebt, ergab sich bisher jedoch auch eines der Hauptprobleme. „Es ist nicht so einfach, wenn man zu dritt da vorne ist“, erkannte Torwart Neuer. „Was noch ein bisschen fehlt, ist der entscheidende letzte Pass, der entscheidende Laufweg“, analysierte Lahm. Und: „Wir haben noch Potenziale, uns noch mehr und noch größere Tormöglichkeiten herauszuarbeiten.“
„Wir haben in der ersten Halbzeit gegen die USA Szenen gut herausgespielt, aber in der Mitte war halt keiner da“, benannte Özil noch eine Schwachstelle. Der 36 Jahre alte Klose meldete sich bereit als Strafraumstürmer auch von Beginn an: „Ich habe eine Halbzeit durchgehalten. Auch 90 Minuten wären kein Problem.“
Vom Achtelfinale an sei jedes Spiel ein Finale, sagte Neuer. „Man darf sich da nicht sicher sein“, warnte der Schlussmann vor der vermeintlich leichten Aufgabe geben die Nordafrikaner im kühleren brasilianischen Süden: „Wir dürfen nicht den Fehler machen, jemanden zu unterschätzen.“ Die Algerier, die gegen Belgien (1:2), Südkorea (4:2) und Russland (1:1) das Achtelfinale erreichten, hätten schon ihre Stärken, meinte der Münchner. Neuer kennt aber auch ein Rezept dagegen: „Wenn wir gut und schnell spielen, können wir ihre defensiven Schwächen aufzeigen. Wenn wir schnell in Ballbesitz kommen, können wir eiskalt zuschlagen.“
Vor allem einer demonstriert das in Brasilien bisher eindrucksvoll: Der vierfache Turnier-Torschütze Müller. Für Löw sind die schon neun WM-Tore des 24 Jahre alten Bayern auch Resultat harter Arbeit: „Er läuft wahnsinnig viel, er macht mit die meisten Kilometer bei uns, hat wahnsinnig gute Laufwerte.“ Der letzte Pass im letzten Drittel, die Konsequenz, die eine oder andere Chance besser herauszuspielen, seien aber insgesamt noch der Bereich, den es zu verbessern gelte.