Analyse: Martialische Rhetorik, diskrete Festnahmen
Riad/Manama (dpa) - Während Syrer und Jemeniten mit Worten aufbegehren, kämpfen die Libyer mit Panzerfäusten. Im Osten der arabischen Welt hat sich die Lage zwar beruhigt. Doch in Saudi-Arabien und Bahrain brodelt der Unmut weiter - mit dem Iran im Hintergrund.
„Nieder mit dem Tyrannen“, steht im Osten Libyens auf jeder zweiten Mauer. „Geh weg, Ali Abdullah Salih“, beschimpfen die jemenitischen Demonstranten ihren Langzeit-Präsidenten. In den arabischen Golfstaaten, wo ein Großteil der weltweiten Erdöl-Vorkommen unter dem Wüstensand lagert, ist man von derartigen Zuständen weit entfernt. Auf den ersten Blick herrscht Ruhe - doch hinter den Kulissen hat ein erbitterter Machtkampf um die Vormachtstellung am Golf begonnen, dessen Ausgang noch offen ist.
Die beiden wichtigsten Kontrahenten in diesem Konflikt sind der Iran und Saudi-Arabien, die einander in den vergangenen Tagen auf höchster Ebene mit verbalen Giftpfeilen beschossen. Die Iraner warnten vor einer „Invasion“ in Saudi-Arabien. Der saudische Klerus spricht von einer „iranischen Einmischung“ in die Angelegenheiten der arabischen Golfstaaten. Die westlichen Regierungen stehen derweil abseits, paralysiert von der Angst, dass nach Libyen demnächst eventuell noch ein weiterer großer Öl-Produzent kippen könnte.
„Die iranische Führung tut jetzt so, als wären die Proteste in der arabischen Welt die Fortsetzung ihrer Revolution von 1979. Dabei lässt sich das, was in Ländern wie Ägypten und Tunesien derzeit passiert ist, viel eher mit den Protestaktionen gegen das aktuelle iranische Regime vergleichen“, erklärt General Mansur al-Turki, der Sprecher des saudischen Innenministeriums. Der General ist das freundliche Gesicht des Ministeriums, das von Prinz Naif geleitet wird. Der Minister gilt als islamisch-konservativer Hardliner und möglicher Nachfolger von König Abdullah auf dem Thron.
Prinz Naif unterstehen auch die Ermittler und Polizisten, die vor den Moscheen nach dem Freitagsgebiet darauf achten, dass sich keine Gruppen bilden, die protestieren oder über Politik diskutieren. Vor allem in den Städten des Ostens, wo das Öl liegt und wo der Großteil der schiitischen Minderheit lebt, sind die Aufpasser allgegenwärtig. Hier hatten sich im März in mehreren Ortschaften einige hundert Demonstranten zusammengefunden. Sie prangerten die von ihnen empfundene Diskriminierung der Schiiten durch den von Sunniten dominierten Staat an und bekundeten ihre Solidarität mit den schiitsichen Glaubensbrüdern in Bahrain.
Indirekt war dies auch eine Kritik an der saudischen Herrscherfamilie. Denn diese hatte Mitte März Nationalgardisten nach Bahrain geschickt. Die Saudis hielten den bahrainischen Sicherheitskräften den Rücken frei, damit diese mit Gewalt die Massenproteste beenden konnten, die in dem Kleinstaat am 14. Februar begonnen hatten. Die Demonstranten, die mehrheitlich Anhänger der schiitischen Opposition sind, hatten versucht, die Macht der sunnitischen Herrscherfamilie Al-Chalifa zu beschneiden.
Das Königshaus beschimpfte die Demonstranten als Agenten des Iran. Heute demonstriert niemand mehr auf dem Lulu-Platz in der bahrainischen Hauptstadt Manama, der im Februar zum Zentrum der Proteste geworden war. Doch der Preis für die angespannte Ruhe, die in der Stadt herrscht, ist hoch. In den vergangenen Wochen wurden zahlreiche Aktivisten festgenommen. Menschenrechtler berichteten von mehreren in der Haft gestorbenen Aktivisten. Ärzte, die verletzte Demonstranten behandelten, wurden von den Sicherheitskräften massiv bedrängt und eingeschüchtert. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden in Saudi-Arabien seit Februar 160 Regimekritiker festgenommen.
Doch was ist ein Regimekritiker in einem Land, in dem der Herrscher nicht nur König ist, sondern auch den Titel „Hüter der heiligen Stätten des Islam“ (in Mekka und Medina) trägt? Mufleh al-Kahtani, der Vorsitzende der saudischen Menschenrechtsvereinigung, warnt davor, Saudi-Arabien mit den anderen arabischen Staaten zu vergleichen, in denen sich die Menschen in den vergangenen Wochen gegen ihre Herrscher aufgelehnt haben. „Der wesentliche Unterschied ist, dass hier niemand sagt, die Familie Al-Saud solle weg“, betont Al-Kahtani.
Außerdem habe im saudischen System jeder Bürger die Möglichkeit, sich mit Bitten oder Petitionen direkt an den König zu wenden. „Demonstrationen sind damit überflüssig“, findet der Menschenrechtler, der sich für misshandelte Hausangestellte aus Sri Lanka ebenso einsetzt wie für Mädchen, die von ihren Vätern mit alten Männern zwangsverheiratet wurden.
Wenn es um die Behandlung von Gefangenen und die Rechte von Angeklagten vor Gericht geht, legt sich Al-Kahtani gerne mit den Behörden an. Doch wenn die Rolle des Iran in der Region angesprochen wird, vertritt er die gleiche Ansicht wie die Mehrheit der sunnitischen Saudis: Die Amerikaner hätten den Iranern, indem sie 2003 Saddam Hussein gestürzt haben, den Irak auf dem Silbertablett serviert. „Über die irakischen Schiiten-Parteien übt der Iran jetzt großen Einfluss in Bagdad aus.“ Da sei es doch normal, dass die Saudis nicht wollen, dass das Gleiche jetzt auch in Bahrain passiere, meint der Menschenrechtler.