Analyse: Merkel setzt auf ganz kleine Schritte
Brüssel (dpa) - Dünnes Ergebnis, alte Schlachten um den Britenrabatt, Symbolpolitik gegen die Krise: Ob der Ablauf dieses EU-Gipfels mit den deutschen Wahlen zu tun hat? Die Kanzlerin weist den Vorwurf zurück.
Monatelang waren die Erwartungen an den Juni-Gipfel in Brüssel geschürt worden, was auch daran lag, dass es bei den Treffen davor nicht so richtig voranging. Wichtige Reformschritte und Weichenstellungen für den Weg aus der Krise sollten beschlossen werden, dazu endlich effiziente Maßnahmen gegen die bedrückende Jugendarbeitslosigkeit. Gemessen daran war das Ergebnis am Freitag mehr als bescheiden.
„Wir sind wieder ein Stück vorangekommen, aber noch lange nicht am Ziel“, so hieß die schon typische Bilanz von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den zweitägigen Beratungen der Staats- und Regierungschefs. Auch wenn es endlich eine Einigung über den lange umstrittenen Finanzrahmen bis 2020 gab, eine neue Debatte über den Britenrabatt wirbelte doch die Tagesordnung durcheinander. Am Ende wurden Premier David Cameron weitere 200 Millionen Euro zugesichert, die ihm sonst verloren gegangen wären.
Zudem bestimmten ein knappes Jahr vor den Wahlen zum europäischen Parlament mehr oder weniger offene Machtspiele das Geschehen. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der gerne Kommissionspräsident werden möchte, lobt den amtierenden José Manuel Barroso, der gerne Präsident bleiben möchte, als „ehrlichen Makler“. Der macht daraus ein Eigenlob und nennt sich nun selbst so.
Aber die Franzosen schießen sich weiter auf Barroso ein, der von Anfang an eine Fehlbesetzung gewesen sei - von Merkels Gnaden. Gleichzeitig nennt „Le Monde“ die Kanzlerin die „wichtigste Leitfigur der EU“. Wen auch sonst?
Tatsächlich geschieht in Brüssel immer mehr nur noch das, was Merkel will. Und wenn sie nicht will, das etwas geschieht, dann passiert eben nichts. Jedenfalls sehen das viele Beobachter so.
Auf die Frage eines Journalisten, ob der gefühlte Stillstand in Europa mit dem Wahlkampf in Deutschland zu tun habe, sagte Merkel allerdings: „Ich kenne ehrlich gesagt keine einzige Entscheidung in Europa, die durch den Tatbestand, dass wir im September Wahlen haben, irgendwie aufgehalten wurde.“
Längst ist nicht alles gut in Europa. Daran erinnern der parallel zum Gipfel laufende Generalstreik in Portugal, die kaum überwundene Regierungskrise in Griechenland, ungelöste Probleme in Spanien und Zypern. Für Italien steigen die Risikoaufschläge wieder.
Die beschlossenen sechs Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sind für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel eine „große Schande“, weil viel zu wenig, und auch der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker sagt, dies sei „keine absolut beeindruckende Zahl“.
Vor allem ist sie nicht neu. Vor ein paar Monaten war die „Jugendbeschäftigungsinitiative“ schon einmal angekündigt worden.
Auch auf den Gesichtern in Brüssel spiegelt sich diesmal mehr Erschöpfung als Erleichterung. Schulz schaut grimmig, als er mit Merkel spricht. Der italienische Ministerpräsident Enrico Letta blickt mit ernstem Gesicht zur Kanzlerin, die ungewohnt müde wirkt Nur Hollande scheint aufgeräumt.
Erst Ende Mai hatten Merkel und Barroso mit großen Worten eine Initiative zur stärkeren wirtschaftspolitischen Koordinierung vorgelegt. In diesem Punkt ist der Gipfel nicht wirklich vorangekommen, lediglich ein Zeitplan bis zum Jahresende wurde festgelegt. Auch von der Forderung aus Berlin und Paris nach einem hauptamtlichen Eurogruppenchef war gar nicht die Rede.
Merkel hat schon längst den nächsten Gipfel im Blick, und der ist in Berlin. Dort soll am kommenden Mittwoch mit starker Besetzung eine europäische Initiative für den Arbeitsmarkt vorgestellt werden. Die Verantwortung für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit liege vor allem bei den Nationalstaaten, heißt es in der Bundesregierung, und Brüssel kann dem nicht widersprechen. Dass die große Schau am 3. Juli auch etwas mit dem deutschen Wahlkampf zu tun hat, liegt nahe.