Analyse: Merkels Zwänge von Athen bis Paris
Berlin (dpa) - Es dreht sich einfach alles um Griechenland. So wird es fast zum Politikum, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel eine besondere deutsch-griechische Begegnung aus der Nähe oder Ferne verfolgt.
Voraussichtlich wird sie nicht am Freitagabend nach Danzig reisen, um dort das Viertelfinal-Spiel Deutschland gegen Griechenland bei der Fußball-Europameisterschaft zu sehen. Und indirekt hat dies sogar etwas mit der dramatisch schlechten Finanzlage Athens zu tun.
Denn Merkel kommt in Rom mit den Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Italien und Spanien zusammen, mit denen sie über deren Finanzprobleme und die gemeinsame Finanzpolitik in der EU sprechen will. Und da sind sie alle wieder bei den Griechen, die zwar mit der Parlamentswahl am Sonntag den Willen zum Verbleib in der Eurozone bekundet und nicht den ersten Dominostein umgeworfen haben.
Aber damit ist die Geldnot noch lange nicht vorbei. Die Lage in der EU hat sich nur nicht noch verschärft. Die radikalen Linken, die das Sparprogramm ablehnen, sind nicht an die Macht gekommen. In der Frage, wie Athen nun seinen Staatshaushalt saniert, Kredite bekommt und Schulden bezahlt, hat die Bundesregierung gleich am Tag nach der Wahl ein verwirrendes Bild abgegeben.
Außenminister Guido Westerwelle preschte noch am Wahlabend mit dem Vorschlag vor, nochmals über die „Zeitachsen“ zu reden. Er meinte damit, dass die Griechen zur Erfüllung der Sparauflagen praktisch die „wertvolle Zeit“ gutgeschrieben bekommen, die in den beiden Wahlkämpfen der vergangenen Monate verloren ging.
Offizielle Regierungslinie sind solche Überlegungen aber noch nicht. Manche in der schwarz-gelben Koalition sind deshalb ziemlich ungehalten darüber, dass der ehemalige FDP-Chef damit so schnell an die Öffentlichkeit ging. Aus taktischen Gründen hätten sie lieber noch gewartet. Aber letztlich könnte man in Berlin mit einer solchen Lösung wohl leben - immer unter der Bedingung, dass der Kern der Sparvereinbarungen unverändert bleibt.
Tabu ist aus Sicht der Bundesregierung weiterhin eine Vergemeinschaftung der europäischen Schulden. „Nicht direkt, nicht durch die Hintertür, nicht unter dem Namen Eurobonds und auch nicht unter anderem Namen“, formulierte Westerwelle mit Blick auf die nun diskutierte Variante sogenannter Eurobills - eine kleinere Ausgabe von Eurobonds. Hier sind sich Westerwelle und Merkel wieder einig.
Merkel wird schon wegen der Bundestagswahl im nächsten Jahr nicht von ihrer bei vielen Deutschen beliebten Position abrücken, dass die Bundesrepublik bei aller nötigen Solidarität mit anderen Euro-Ländern nicht überfordert werden darf. Denn wird auch Deutschland wie Frankreich in seiner Bonität herabgestuft oder nimmt seine wirtschaftliche Stabilität Schaden, ist niemandem geholfen.
Weltweit blicken Wirtschaftsunternehmen und viele Regierungen auf die deutsche Politik für den Euro und für den Zusammenhalt in der Eurozone und der ganzen EU. Aber in Europa schauen viele darauf, wie sich nach dem Linksruck in Frankreich das Verhältnis zur christlich-liberalen Bundesregierung entwickeln wird.
Der neue sozialistische Präsident François Hollande kann durch einen historischen Erfolg seiner Partei bei der Wahl am Sonntag zur Nationalversammlung innenpolitisch ganz anders auf breiten Rückhalt setzen als Merkel mit ihrer zerstrittenen Koalition und den Schwierigkeiten im Bundestag. Das dürfte ihn mit viel Selbstbewusstsein für sein internationales Auftreten ausstatten.
Gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama will er gleich beim G20-Gipfel im mexikanischen Los Cabos auf staatliche Impulse für mehr Wachstum drängen. Einige sehen Merkel bereits zunehmend isoliert, weil sie neue Milliarden-Konjunkturprogramme auf Pump bekämpft.
Doch das Vertrauen in Deutschland, wo die Wirtschaft im Gegensatz zu Frankreich und anderen Ländern nicht schwächelt und die Zahl der Arbeitslosen nicht steigt, ist weiterhin groß. Und das deutsche Vertrauen in die Freundschaft zu Frankreich auch. So sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Montag: „Die deutsch-französischen Beziehungen sind seit Jahrzehnten so stabil, dass es letztlich egal ist, wer in diesem Land regiert.“