Analyse: Nächtlicher Kampf um den Euro
Brüssel (dpa) - Es dauerte bis vier Uhr morgens. Dann, nach zehn Stunden Diskussion und längerem Feilschen mit dem internationalen Bankenverband um die Halbierung der griechischen Schulden, hatten es die Regierenden der 17 Staaten mit Eurowährung geschafft.
Sie einigten sich auf ein ganzes Paket von Maßnahmen, mit denen sie das Vertrauen in den Euro als stabile Währung wieder herstellen wollen. Von „durchaus langen, aber erfolgreichen Beratungen“ sprach die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ermattet: „Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen.“
Nach schwierigen Diskussionen in der Eurogruppe - auch zwischen Berlin und Paris - kam schließlich ein ansehnliches Maßnahmebündel zusammen. Nun hoffen die Politiker, dass die Finanzmärkte sich von demonstrativer Geschlossenheit und reichlich guten Absichten beeindruckt zeigen. Das Ziel: Endlich Ruhe an der Eurofront.
Kernstück ist der Schuldenschnitt für Griechenland. Damit werden die privaten Anleger zur Kasse gebeten, nachdem der Steuerzahler vor allem mit dem Rettungsfonds, der ein Garantievolumen von 440 Milliarden Euro hat, bereits beteiligt ist. Die Banken verzichteten auf die Hälfte ihrer Forderungen. Vielen Regierungen war das auch ein wichtiges politisches Signal.
Weil die Banker lange Bedenken gegen den großen Schuldenschnitt (im Juli waren bereits 21 Prozent vereinbart worden) hatten, redete die sogenannte „Frankfurter Runde“ am Rand des Gipfels Klartext. Merkel, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, Luxemburgs Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker, die Präsidenten Herman Van Rompuy (Rat) und José Manuel Barroso (Kommission) sowie IWF-Chefin Christine Lagarde machten laut Merkel „ein einziges Angebot“, das auch als „letztes Wort“ deklariert wurde. „Wir haben unser Angebot angstfrei vorgebracht“, formulierte Merkel später. Die Banken stimmten dem Schuldenschnitt zu.
Erkauft wurde der Verzicht mit 30 Milliarden Euro neuer Garantien, die die Regierungen zusätzlich zu bereits beschlossenen weiteren Griechenland-Hilfen in Höhe von 100 Milliarden Euro genehmigten. Die Details sind kompliziert. Als die Kanzlerin gefragt wurde, wie groß denn angesichts dieser Sicherheiten der Schuldenschnitt nun wirklich sei, gestand sie: „Es lässt sich vielleicht errechnen. Ich habe es nicht errechnet. Ich weiß es nicht.“ Der Schuldenverzicht wurde ergänzt durch Kapitalspritzen für bedürftige Banken.
Relativ rasch einigte man sich beim Gipfel auf einen „Hebel“ für den Euro-Rettungsfonds EFSF, über den zuvor lange gestritten worden war. Eine Mischung aus Versicherungslösung und Fondsmodell soll dafür sorgen, dass ein Euro-Wackelkandidat bei Gefahr im Verzug mit dem Vier- bis Fünffachen des eigentlichen Garantievolumens gestützt werden kann. Ganz genau konnte Merkel auch dies nicht erklären: Man betrete Neuland und es sei sehr schwer, „heute schon zu sagen, was das nun eigentlich bedeutet“.
Vor ihrem guten Ende hatte die Hilfsaktion für den Euro auch innerhalb der EU Spannungen deutlich gemacht. Die zehn Nicht-Mitglieder der Eurozone bestanden auf einem informellen EU-Gipfel im Kreis aller 27 Mitglieder. Polens Regierungschef Donald Tusk mahnte, die EU dürfe nicht in die Eurogruppe und einen unbedeutenden Rest zerfallen.
Das war noch nicht alles. Spanien und Italien gelobten, die Staatsverschuldung drastisch zu senken. Silvio Berlusconi musste gar unterschreiben, die EU-Kommission dürfe in Zukunft kontrollieren, ob er sein Wort halte. Und auch Änderungen der EU-Verträge sollen für die dauerhafte Stabilisierung der Eurozone geprüft werden, setzte Merkel durch. Mit diesen Änderungen soll Haushaltsdisziplin eines Euro-Landes von den anderen Staaten erzwungen werden können. Erschöpft gingen die Regierenden in Brüssel auseinander. Nun sind wieder die Märkte am Zuge. EU-Kommissionspräsident Barroso riet schon zu langem Atem: „Das ist ein Marathon, kein Sprint.“