Analyse: NSA-Überwachung beschert Piraten Wahlkampfthema

Berlin (dpa) - In den Wahlumfragen dümpelt die Piratenpartei seit Monaten deutlich unter fünf Prozent. Die Empörung über die Überwachungsprogramme der anglo-amerikanischen Geheimdienste könnte nun die Partei und ihre Anhänger neu mobilisieren.

Zum Wahlkampfauftakt der Piratenpartei in Berlin haben sich ein paar Dutzend Menschen in den dunklen Räumen des „Ritter Butzke“ versammelt. Wo nachts getanzt und getrunken wird, wollen die Piraten ihre Mitglieder auf dem Bundestagswahlkampf einstimmen. Sie haben eine Leinwand aufgespannt, per Videoschalte berichten Wahlkämpfer von geplanten Aktionen.

Der Ton läuft nicht immer gut, auch die angekündigten Würstchen gibt es nicht. Dafür ist den Piraten ein Pfand in den Schoß gefallen, das ihnen aus dem Umfragetief helfen könnte. Denn plötzlich ist mit der Debatte über die Überwachung von Telefon- und Internetdaten durch Geheimdienste ein Kernthema der Piraten in aller Munde.

„Internetüberwachung ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch, und das müssen wir unbedingt aufhalten“, sagt die politische Geschäftsführerin der Partei, Katharina Nocun, der dpa. Sie reichte am Montag eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft ein. Es regelt, wann deutsche Ermittler und Geheimdienste Zugriff auf Telefondaten von Bürgern bekommen.

Im Gegensatz zum US-Geheimdienst NSA können die Sicherheitsbehörden hier nicht praktisch live die Internetkommunikation der Menschen beobachten. Das Gesetz regelt stattdessen die Weitergabe von Bestandsdaten an Ermittler, also wem ein Anschluss gehört und wo diese Person wohnt. Außerdem geht es um PINs und Passwörter. „Wer das hat, der weiß, wer ich bin, was ich denke“, empört sich Nocun.

Die Abhörmöglichkeiten deutscher Polizisten und das Anzapfen der Daten von Internetunternehmen durch britische und amerikanische Geheimdienste gehen für sie in die gleiche Richtung. „Genau das ist ja die Bestandsdatenauskunft“, sagt sie. Bei der Wahlkampfparty wird deutlich: Die Piraten wollen das Thema ganz grundsätzlich diskutieren: „Es geht darum, dass wir diese Demokratie überlebensfähig machen für das digitale Zeitalter“, ruft Nocun den versammelten Unterstützern zu. „Zuhören statt Abhören“ steht auf den Wahlplakaten, und „Meine Daten gehören mir“. Staatliche Überwachung müsse per Gesetz verboten werden, fordert der Berliner Abgeordnete Martin Delius.

Doch im Gegensatz zu den geplanten Sperren von Webseiten, die 2010 Netznutzer mobilisierten und nach heftigem Protest gekippt wurden, ist das Thema der Überwachung durch ausländische Geheimdienste abstrakt. „Es ist unsere Aufgabe, einander zu informieren, worin eigentlich das Problem besteht und was getan werden kann“, wirbt die ehemalige Frontfrau der Piraten, Marina Weisband, in der „Welt“. Bisher lief die Mobilisierung eher schleppend: Bei Demonstrationen gegen die Bestandsdatenauskunft kamen im April teilweise nur eine Handvoll Menschen. Anfang September gibt es eine neue Chance zur Mobilisierung - dann ruft der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zu einer Demonstration in Berlin auf.

Allerdings wollen die Piraten sich nicht allein auf das Thema Internet festlegen. „Der Kern der Piraten sind Transparenz und Bürgerbeteiligung“, sagt Delius. Studien zu den Wahlen in Berlin, im Saarland und in Schleswig-Holstein hätten gezeigt, dass Bildungs- und Sozialpolitik ebenfalls wichtige Themen für Piratenwähler seien.