Analyse: „Offshore Leaks“ macht Tricks der Reichen sichtbar
Berlin/Hamburg (dpa) - Das soll niemand wissen: Millionäre schleusen ihr Geld am Fiskus vorbei in Briefkastenfirmen und Vermögensverwaltungen in abgelegenen Steueroasen.
Wie feinmaschig und raffiniert dieses Netz in Ländern wie Panama, Mauritius, Samoa oder auch Luxemburg ist, haben am Donnerstag die „Offshore Leaks“ enthüllt: Das Projekt internationaler Aktivisten und Datenjournalisten erinnert an WikiLeaks, funktioniert aber ganz anders. An der internationalen Zusammenarbeit von Medien wirken in Deutschland die „Süddeutsche Zeitung“ und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) mit - insgesamt sind 86 Journalisten in 46 Ländern beteiligt.
„Das Projekt ist aus meiner Sicht ein Gegenentwurf zu WikiLeaks“, erklärt der Datenjournalist Sebastian Mondial im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Wir haben von vornherein versucht, Geheimhaltung und Quellenschutz nach vorn zu stellen.“ Mondial wurde im Februar 2012 als Experte für die Analyse großer Datenmengen eingeladen, an dem Enthüllungsprojekt der in Washington angesiedelten Initiative International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mitzuwirken.
Das von Julian Assange gegründete WikiLeaks-Projekt hat auf seinem Höhepunkt im Jahr 2010 Daten wie das Video zu einem US-Luftangriff in Bagdad oder mehr als 250 000 Berichte von diplomatischen Vertretungen der USA im Internet veröffentlicht. Auf heftige Kritik stieß dabei der Umstand, dass so schließlich auch die Namen von Informanten bekannt wurden. Zu den Offshore Leaks sagt Mondial: „Das ICIJ will diese Daten nicht veröffentlichen, weil man auch großen Schaden bei unbeteiligten Dritten anrichten kann, die in den Daten genannt sind.“
Der Datenbestand, der vor über einem Jahr in die Hände der Enthüller gelangte, ist riesig: insgesamt 2,5 Millionen Dokumente wie E-Mails, PDF-Dateien, Tabellen oder Powerpoint-Präsentationen im Gesamtumfang von 260 Gigabyte. „Es gibt weltweit nur eine Handvoll Personen, die den Zugang zu allen diesen Daten hat“, sagt Mondial. „Niemand hat bisher in den Medien jemals mit so großen Datenmengen gearbeitet.“
Mit Blick auf den Quellenschutz macht das ICIJ nur sehr allgemeine Angaben zur Herkunft der Daten: Sie „sind von Servern abgeschöpft worden, die über das Internet zugänglich waren“, erklärt Mondial. Die Anzahl von Kopien der Daten sei bewusst klein gehalten worden, die Daten selbst seien sicher verschlüsselt.
„Das erste halbe Jahr des Projekts stand ganz im Zeichen der Frage, wie wir die Daten aufbereiten“, erklärt Mondial. Dafür setzte der Experte die spezielle Forensik-Software Nuix ein. Forensik - das meint kriminaltechnische Untersuchungen aller Art, auch die Analyse von Datenbeständen. Mit Hilfe von Nuix können große Datenmengen sehr schnell indiziert und anschaulich aufbereitet werden. So kann man damit analysieren, wer mit wem über welchen Zeitraum hinweg E-Mails ausgetauscht hat. Da die ICIJ-Aktivisten auch die Daten von Mail-Servern hatten, konnten sie selbst diejenigen Empfänger erkennen, die im BCC-Feld einer E-Mail eigentlich unsichtbar bleiben sollen.
Insgesamt umfasst die Kommunikation mit über 122 000 Briefkastenfirmen und Vermögens- oder Erbschaftsverwaltungen in Form sogenannter „Trusts“ nach Schätzung Mondials mehr als 10 000 Personen. Die E-Mails reichen zum Teil bis in die 1990er Jahre zurück, so dass mehr als 15 Jahre abgedeckt werden. Während der ersten Prüfung der Daten haben die ICIJ-Experten zunächst geprüft, dass sie nicht einem großen Hoax, einer raffinierten Fälschung aufgesessen sind.
„Die zweite Phase begann dann nach der Entdeckung von zwei Datenbanken, die detaillierte Angaben enthielten, welche Offshore-Firmen mit welchen Personen verknüpft waren“, erklärt Mondial. „Das war ein Durchbruch.“ Daraufhin wurden weitere Medien einbezogen - mit dabei sind etwa „Le Monde“ in Frankreich, der britische „Guardian“, die BBC und die „Washington Post“.
Die Offshore Leaks werden dem Journalismus neue Impulse geben. Sie zeigen die Richtung auf, wie Qualitätsjournalismus der Zukunft funktioniert: vernetzt, kritisch, analytisch. Die Datenmenge sei 150 Mal größer als der Umfang der Botschaftsdepeschen von WikiLeaks, erklärt Bastian Brinkmann von der „Süddeutschen Zeitung“. Vor der journalistischen Recherche sei daher die Arbeit der Computer-Forensiker erforderlich gewesen. „Damit werden die Spielregeln verändert“, schreibt das Blog „Tax Justice Network“, einer gegen die Auswüchse von Steueroasen gerichteten Initiative.
Die Arbeit an den Daten ist nach den ersten Veröffentlichungen vom Donnerstag nicht abgeschlossen. „Es sind noch längst nicht alle Länder erschlossen, in denen Personen Geld an die Offshore-Firmen überwiesen haben“, sagt der Datenjournalist Mondial. „Mit der Erfahrung und dem Schwung der jetzigen Veröffentlichung sollen die Recherchen nun weiter vorangetrieben werden.“