Nordkorea dreht an der Eskalationsschraube
Seoul/Washington (dpa) - Nordkorea setzt allen Mahnungen zum Trotz weiter auf Eskalation. Das kommunistische Regime drohte den USA offiziell mit einem Atomschlag. Allerdings bezweifeln Experten, dass das Land auf Jahre hinaus in der Lage sein wird, US-Festland mit einer Atomrakete zu treffen.
Im Konflikt mit Südkorea wich die Führung in Pjöngjang am Donnerstag keinen Millimeter zurück.
Nordkorea verweigerte Pendlern aus dem Nachbarland den zweiten Tag in Folge, den gemeinsam betriebenen Industriepark in Kaesong zu betreten. Außerdem drohte das Regime, die nur wenige Kilometer von der schwer bewachten Grenze entfernte Sonderwirtschaftszone permanent zu schließen. Allerdings ist der Industriepark ein wichtiger Devisenbringer für den verarmten, aber hochgerüsteten Norden. Auf dem weitläufigen Gelände arbeiten rund 50 000 Nordkoreaner für 123 Unternehmen aus Südkorea. Südkoreanische Geschäftsleute appellierten am Donnerstag an die nordkoreanische Führung, das Einreiseverbot aufzuheben, um weitere schädliche Auswirkungen auf Produktionsabläufe zu verhindern.
Nordkorea verlegte nach Angaben des südkoreanischen Verteidigungsministeriums auch eine Mittelstreckenrakete an die Ostküste. Der Grund sei unklar, berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap. Möglicherweise stehe ein weiterer Raketentest bevor. Oder aber die Rakete solle während der Feierlichkeiten zum 101. Geburtstag von Staatsgründer Kim Il Sung am 15. April abgefeuert werden. Der Großvater ist für den derzeitigen Diktator Kim Jong Un nach Angaben von Diplomaten und Medien das große Vorbild.
In Südkorea wächst die Sorge, dass das stalinistische Regime nach dem wochenlangen verbalen Schlagabtausch eine militärische Provokation wagen könnte. Der koreanische Aktienindex KOSPI verzeichnete am Donnerstag die bislang größten Verluste in diesem Jahr.
Angesichts der direkten Drohungen aus Nordkorea rüsten die USA im Pazifik weiter auf. Das Pentagon verlegt ein mobiles ballistisches Raketenabwehrsystem auf den US-Stützpunkt der Insel Guam. Außerdem würden die beiden Kriegsschiffe „Decatur“ und „McCain“ in den West-Pazifik entsandt, sagte Pentagonsprecher George Little. Zuvor hatte die oberste Militärführung in Nordkorea dem Weißen Haus und dem Pentagon mitgeteilt, dass militärische „Operationen ohne jede Rücksicht“ bewilligt worden seien.
Die Lage auf der koreanischen Halbinsel gilt seit dem dritten Atomtest in Nordkorea im Februar als äußerst gespannt. Pjöngjang hatte als Reaktion auf die Ausweitung von UN-Sanktionen und südkoreanisch-amerikanische Militärmanöver den Waffenstillstandsvertrag von 1953 gekündigt. Am Samstag rief Pjöngjang den „Kriegszustand“ im Verhältnis zu Südkorea aus. Seit den 1950er Jahren befinden sich die Nachbarn formell weiter im Krieg.
Der von Nordkorea beabsichtigte Neustart des abgeschalteten Kernreaktors in dem umstrittenen Atomzentrum Yongbyon wäre nach Meinung der US-Regierung „extrem alarmierend“. Die Europäische Union bedauerte am Donnerstag die Ankündigung. „Das wäre eine eindeutige Verletzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der Verpflichtungen aus den Gesprächen der sechs Staaten (Nordkorea, USA, China, Südkorea, Japan, Russland)“, heißt es in einer Erklärung der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton vom Donnerstag in Brüssel.
Nordkorea müsse aufhören, immer neue Spannungen zu schaffen und stattdessen wieder konstruktive Gespräche mit der internationalen Gemeinschaft aufnehmen.
Der Nordkorea-Experte Siegfried Hecker von der Stanford-Universität in Kalifornien rechnet nicht damit, dass Nordkorea die USA mit Atomraketen angreifen kann. Aus Sicht Nordkoreas mache ein Atomschlag auch keinen Sinn, weil eine vernichtende militärische Antwort und das Ende des Regimes folgen würden, sagte Hecker in einem auf der Universitätswebsite veröffentlichten Interview. Ein Neustart des 5-Megawatt-Reaktors könnte aus Sicht Heckers sechs Monate dauern. Nordkorea könnte dann sechs Kilogramm Plutonium pro Jahr herstellen, das für eine Atombombe reiche.