Analyse: Pilotabschluss soll Tariftreue stärken

Köln/Frankfurt (dpa) - Am Ende waren alle Beteiligten zufrieden mit dem, was auf dem Tisch lag: IG Metall und Arbeitgeber aus Nordrhein-Westfalen sowie die Bundesspitzen, die Pilotverhandlungen stets eng begleiten.

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„Der Abschluss ist ein solider Dreiklang von Laufzeit, Entgelt und Wettbewerbskomponenten“, lobt Rainer Dulger, Präsident des Bundesverbandes Gesamtmetall, das Ergebnis der zurückliegenden Marathonsitzung. Und IG Metall-Chef Jörg Hofmann ergänzt: „Die Gefahr einer Eskalation haben wir abgewendet und die Beschäftigten erhalten eine faire Bezahlung.“

Doch können wirklich beide Seiten zufrieden sein? Die Arbeitnehmer dürfen sich nach Einschätzung des Tarifexperten der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck, auf deutliche Reallohnsteigerungen einrichten, auch dank der historisch niedrigen Inflation. Der Zweistufen-Abschluss liege in diesem Jahr noch vor dem Öffentlichen Dienst an der Spitze und werde positive Signalwirkung auf die Verhandlungen in anderen Branchen wie Chemie, Bau oder bei den Banken haben. Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater sieht die deutsche Binnenkonjunktur gestärkt. Sie könne langsam die vom Ausland in sie gesetzte Hoffung erfüllen, die europäische Wirtschaft kräftig und lang anhaltend anzuschieben.

Im Arbeitgeberlager sind zumindest Zweifel an der Höhe des Abschlusses vorhanden, wie bereits die erste Reaktion des Maschinenbauverbands VDMA zeigte. Immerhin steht am Ende der Laufzeit von 21 Monaten ein zusätzlicher Kostenblock von 10 Milliarden Euro, wie Gesamtmetallchef Rainer Dulger selbst beklagt. Die jährlichen Steigerungsraten sind laut Gesamtmetall mit 2,45 Prozent auf die Laufzeit zwar deutlich geringer ausgefallen als in den vergangenen Jahren, müssen aber auch erst einmal verdient werden.

Die vereinbarten Lohnerhöhungen seien „ein Vorschuss auf eine ungewisse Zukunft“, sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. „Gerade für unsere exportorientierten Unternehmen sind die Aussichten alles andere als rosig. Die Lohnerhöhungen tragen zur weiteren Verschärfung unserer Wettbewerbssituation bei.“ Seinen Mitgliedsfirmen will der Verband empfehlen, die vereinbarten Sonderregeln zu nutzen, mit denen die Kostensteigerungen um etwa 10 Prozent abgemildert werden können.

Einmalzahlung verschieben oder ganz streichen, die zweite Tarifstufe um drei Monate verzögern - erstmals seit sechs Jahren haben die Metalltarifpartner wieder solche Ausnahmen für wirtschaftlich schwächere Unternehmen vereinbart. Die sind aber bei den Betriebsräten der IG Metall ziemlich unbeliebt. Sie wollen nicht auf betrieblicher Ebene um Geld und Zahlungszeitpunkte feilschen, weswegen jetzt die regionalen Strukturen der Arbeitgeberverbände und der IG Metall mit den Verhandlungen im Einzelfall betraut wurden.

Tarifexperte Hagen Lesch vom Institut der Wirtschaft Köln (IW) hält die Differenzierungsklauseln für sehr wichtig, weil sie auch die Akzeptanz der Flächentarifverträge steigern könnten - eigentlich ein gemeinsames Ziel von Gewerkschaft und Gesamtmetall. „Wenn man sich über Jahre an der durchschnittlichen Leistungskraft der Unternehmen orientiert, wie es die IG Metall getan hat, dann bekommt die untere Hälfte der Betriebe zwangsläufig irgendwann ein Kostenproblem. Beide Seiten haben jetzt versucht, einen unbürokratischen Weg zu finden, damit schwächere Unternehmen ihre Kostenbelastung bremsen können.“

Bislang hat die IG Metall schwächelnde Firmen stets auf das Pforzheimer Abkommen verwiesen, dass die Tarifpartner 2004 in Baden-Württemberg ins Leben gerufen hatten. In der Krise gab es Lohnabstriche nur, wenn gemeinsam mit der IG Metall ein Sanierungsplan abgestimmt wurde, was natürlich der Gewerkschaft tiefe Einblicke in die Geschäftszahlen verschaffte. Das sei für viele Betriebe keine Option, weil sie nicht zum Bittsteller bei der IG Metall werden wollen, sagt der arbeitgebernahe Experte Lesch. „Da treten sie lieber aus dem tarifgebundenen Arbeitgeberverband aus. Dem soll der neue Ansatz entgegenwirken.“ In Köln wurde eine Auswertung darüber vereinbart, wie häufig die Ausnahmen genutzt werden und was das für die Tarifbindung der Unternehmen bedeutet.