Analyse: Prozess der enttäuschten Hoffnungen

Stuttgart (dpa) - Die Erwartungen waren hoch: „Es wäre ein einmaliges Verfahren“, schrieb „Der Spiegel“: „Ein RAF-Prozess mit den Mitteln und nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts, weil weg vom vergifteten Klima der siebziger und achtziger Jahre.“

Das war vor dem Prozess gegen Verena Becker. Nach mehr als anderthalb Jahren, nach 96 Verhandlungstagen, nach Anhörung von 165 Zeugen und acht Sachverständigen ist deutlich: Das Gerichtsverfahren hat die Erwartungen nicht erfüllt. Das Verbrechen, um das es ging, ist nicht aufgeklärt: Nach wie vor ist nicht bekannt, wer auf dem Motorrad saß, von dem aus Attentäter der „Rote Armee Fraktion“ am 7. April 1977 den Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinen Fahrer Wolfgang Göbel und den Justizbeamten Georg Wurster erschossen.

Auch eine andere Hoffnung hat sich nicht erfüllt: Die Geschichte der RAF kann nicht neu geschrieben werden, muss nicht neu geschrieben werden. Die Beweisaufnahme hat den einen oder anderen Einblick in das Innere der Terrorgruppe gebracht - mehr nicht.

Das wird deutlich, wenn man die im April 2010 verfasste Anklageschrift mit dem vergleicht, was die Bundesanwaltschaft zwei Jahre später in ihrem Plädoyer vortrug. Zu Prozessbeginn wurde Becker zur Last gelegt, sie habe „maßgeblich an der Entscheidung, einen Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback zu begehen, an der Planung und Vorbereitung dieses Mordanschlags sowie an der Verbreitung der Selbstbezichtigungsschreiben“ mitgewirkt. Deshalb sei sie Mittäterin.

Im Schlussplädoyer forderte Oberstaatsanwältin Silke Ritzert nun viereinhalb Jahre Haft wegen Beihilfe. Den weitergehenden Vorwurf der Mittäterschaft ließen die Anklagevertreter fallen: Auch sie glauben nicht mehr, dass Becker bei der unmittelbaren Vorbereitung des Attentats dabei war. Übrig bleibt im Wesentlichen der Vorwurf, Becker bei einem Vorbereitungstreffen in den Niederlanden „vehement“ für die Ausführung des Anschlags eingetreten. Dies sei als „psychische Beihilfe“ zu werten.

Grundlage hierfür sind vor allem Aussagen des RAF-Aussteigers Peter-Jürgen Boock - und zwar solche, die er schon vor Prozessbeginn gemacht hatte. Als Zeuge vor Gericht hatte Boock hingegen zahlreiche Aussagen relativiert. Auf Nachfrage wollte er sich nicht einmal mehr ganz sicher sein, ob Becker bei dem entscheidenden Vorbereitungstreffen überhaupt dabei war. In diesem Punkt hat der Prozess also letztlich nichts Neues gebracht - allenfalls neue Zweifel.

Sicher scheint sich allenfalls Nebenkläger Michael Buback zu sein. Bis zum Schluss versuchte der Sohn des RAF-Opfers, doch noch zu belegen, was er für die Wahrheit hält: dass Becker selbst auf dem Motorrad saß und seinen Vater erschoss; und dass sie bei den Ermittlungen von höherer Stelle geschützt wurde. Doch dieser Einschätzung wollte sich am Ende nicht einmal Bubacks eigener Anwalt anschließen.

Es war ein zunehmend einsamer Kampf des Nebenklägers - mehr und mehr schien es, als spreche er nicht mehr zum Gericht, sondern vor allem zu seinen Unterstützern auf den Zuschauersitzen. Am Ende seines Plädoyers zog Buback ein resigniertes Fazit: „Das Urteil hat, wie auch immer es ausfallen mag, keinen hohen Wert mehr für uns, da der Weg dorthin zu hart für uns war.“

Beckers Verteidiger forderten wie erwartet einen Freispruch. Doch selbst wenn das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft folgen sollte, könnte die Sache glimpflich für Verena Becker ausgehen: Von den geforderten viereinhalb Jahren Haft sollen zwei schon als verbüßt gelten - in Anrechnung der lebenslangen Freiheitsstrafe, die die 59-Jährige schon hinter sich hat. Blieben zweieinhalb Jahre. Da Verurteilte unter Umständen schon nach der Hälfte der Haftzeit entlassen werden können und Becker vier Monate lang in Untersuchungshaft saß, dürfte ihr jedenfalls ein längerer Aufenthalt im Gefängnis erspart bleiben.

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