Analyse: Putin als Retter?

Washington (dpa) - US-Präsident Barack Obama war am Dienstag damit beschäftigt, seine für den Abend geplante Rede an die Nation umzuschreiben.

Wieder einmal in der Saga um die US-Position zu Syrien ändert er seinen Kurs - dieses Mal nach Russlands überraschendem Vorstoß für eine diplomatische Lösung, die einen US-Waffengang abwenden soll. Und es war ganz offensichtlich, wie dankbar Obama Wladimir Putins Initiative aufgriff, die auf eine internationale Kontrolle des syrischen Chemiewaffen-Arsenals abzielt.

Warb der Präsident in den vergangenen Tagen auch eindringlich für einen Waffengang, so schien doch immer wieder durch, dass er ein äußerst widerwilliger Krieger ist. Ein Militärschlag ja, aber nur „von einer unglaublich kleinen, begrenzten Art“, wie Außenminister John Kerry noch am Montag in London betonte. Da fragten sich auch viele seine Unterstützer, was das denn am Ende bringen soll.

Jetzt hat ausgerechnet Putin dem Präsidenten einen Weg aus einer Ecke gezeigt, in die sich Obama selbst mit seiner „roten Linie“ manövriert hatte. Und vielleicht muss sich der US-Präsident eines Tages sogar bei Putin dafür bedanken, dass ihm die bisher schwerste Niederlage seiner Amtszeit im Kongress erspart geblieben ist. Aber nur vielleicht. Viele Experten glauben, dass Obamas ohnehin schon verfahrene Lage durch Putins Eingreifen am Ende nur noch komplizierter geworden sein könnte - und die Öffentlichkeit nur noch verwirrter.

Zunächst müsse Obama grundsätzlich entscheiden, ob er die russische Initiative - und die bisherigen syrische Antwort - ernst nehme, forderte am Dienstag die „New York Times“. Vielleicht handele es sich auch bloß um eine Taktik zur Vermeidung eines US-Militärschlages. Und: „Nun muss Obama dem Kongress erklären, warum er - angesichts einer möglichen diplomatischen Lösung - trotzdem einen Angriff bewilligt haben will.“

Schon jetzt hat ein Großteil der Bevölkerung das Gefühl, dass Obamas Syrien-Politik ein einziger Zickzack-Kurs ist. In einer jüngsten Umfrage bescheinigten ihm nur noch 19 Prozent ein gutes Management in Sachen Syrien.

Seit Tagen hielten Obamas Gefolgsleute ihre Gesichter in die Kameras und betonten, dass das Regime von Machthaber Baschar al-Assad mit dem ihm zugeschriebenen Giftgasangriff mit mehr als 1400 Toten nicht davonkommen dürfe. Und noch am Montagnachmittag hatten Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice und sogar eine reaktivierte Ex-Außenministerin Hillary Clinton frisch formulierte Argumente geliefert. Einen derartigen Werbefeldzug sieht das Land sonst nur zu Wahlkampfzeiten.

Doch dann, am Abend, in gleich sechs Fernsehinterviews, mit denen der Kongress eigentlich zur Bewilligung eines sofortigen Militärschlages bewogen werden sollte, sprach Obama plötzlich nicht mehr von Krieg, sondern von Frieden. Natürlich würde er einen Angriff auf Eis legen, sollte Assad tatsächlich seine Chemiewaffen unter internationale Aufsicht stellen. Ja, es gebe auch Anlass zur Skepsis, ob ein entsprechender Vorschlag der Russen wirklich ernst gemeint sei und ob die Syrier wirklich mitmachen würden, sagte Obama.

Aber dann nahm er Wörter in den Mund, die wenige Stunden zuvor noch kaum jemand für möglich gehalten hätte: „Durchbruch“, „positive Entwicklung“, „Chance auf ein Erfolg“. Das klang nicht mehr nach einem Oberbefehlshaber, der seinen Finger am Abzug hat.

Der Mehrheitsführer seiner Demokraten im Senat, Harry Reid, war sichtlich froh, dass er erstmal eine ursprünglich für Mittwoch geplante Abstimmung verschieben konnte. Schließlich war es Reid bisher nicht gelungen, genügend Parteifreunde für einen Militärschlag zu gewinnen. Aber möglicherweise ist alles nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. „Es trägt nur zur Unsicherheit bei“, sagt etwa der Demokrat Howard Bernan, der früher den Auswärtigen Ausschuss des Abgeordnetenhause geleitet hat. „Es zieht sich einfach länger hin, der Kongress sagt sich, lassen uns mal warten und sehen, bevor wir abstimmen.“