Analyse: Putin kann auf französische Kriegsschiffe setzen
Paris (dpa) - Der Westen und Russland überziehen sich wegen des Ukraine-Konflikts gegenseitig mit Sanktionen. Frankreichs Präsident Hollande steht vor einer der schwierigsten Entscheidungen seiner bisherigen Amtszeit.
Es geht um einen milliardenschweren Kriegsschiff-Deal.
Was Frankreichs Präsident François Hollande durch den Kopf geht, wenn er in diesen Tagen die Titelblätter internationaler Magazine vor sich hat, ist nicht bekannt. „Stoppt Putin jetzt!“ („Der Spiegel“), „Der Ausgestoßene“ („Newsweek“), „Kalter Krieg II“ („Time“) oder „Ein Netz aus Lügen“ („The Economist“) - deutlich wie nie zuvor wird Russlands Präsident derzeit als Gefahr für Frieden und Sicherheit in Europa gebrandmarkt.
Dennoch hält Hollande bis heute an einem milliardenschweren Kriegsschiff-Geschäft mit Moskau fest. Frankreich sei an einen Vertrag aus dem Jahr 2011 gebunden, lautet die knappe Erklärung. Daran ändere auch der Ukraine-Konflikt nichts, der mit der Verhängung russischer Wirtschaftssanktionen gegen den Westen gerade um ein Kapitel reicher ist.
In wenigen Wochen wird so nach heutigem Stand der Dinge ein in Frankreich gebauter Hubschrauberträger der Mistral-Klasse an die russischen Streitkräfte übergeben. Im nächsten Jahr muss laut Abkommen ein weiterer folgen. Das vergangene Woche verhängte EU-Waffenembargo gegen Moskau nimmt Altverträge ausdrücklich aus.
An die 1,2 Milliarden Euro soll das mit zahlreichen Arbeitsplätzen verbundene Geschäft in die Kassen der staatlichen französischen Marinewerft DCNS und seiner Partner spülen. Würde es platzen, könnten zudem hohe Entschädigungszahlungen auf Frankreich zukommen.
Mit der jüngsten Entscheidung der Bundesregierung gegen die Erfüllung eines deutschen Rüstungsgeschäfts mit Moskau - es ging um ein Gefechtsübungszentrum - ist der Druck auf Hollande allerdings noch einmal gewachsen, einen Lieferstopp zu verfügen. Französische Diplomaten warnen hinter vorgehaltener Hand, Frankreich isoliere sich und mache sich völlig unglaubwürdig, wenn es in der jetzigen Situation Kriegsschiffe an Russland liefere. Aus den USA und osteuropäischen Staaten gibt es bereit seit Jahren große Vorbehalte gegen das Geschäft.
Kritikern des Mistral-Deals sind vor allem Äußerungen russischer Militärs nach dem Georgienkrieg in Erinnerung. Ein Marinekommandant habe damals erklärt, mit einem solchen Schiff hätte seine Flotte ihre Aufgabe in 40 Minuten statt in 26 Stunden erledigt, erinnerte der französische Philosoph André Glucksmann bereits 2009.
Wenn man „Putin die Waffen für eine schnelle Landung in Georgien, auf der Krim oder gar in den baltischen Ländern“ liefere, gebe man ihm auch grünes Licht dafür. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite forderte ihre europäischen Amtskollegen jüngst in der Sanktionsdebatte auf, Werte und Sicherheit nicht zugunsten von Geschäften zu opfern.
Bislang habe Frankreich Kritik aus Partnerländern als scheinheilig abgetan und dabei vor allem auf die engen Geschäftsbeziehungen Deutschlands und Großbritanniens mit Moskau verwiesen, kommentierte die Pariser Tageszeitung „Le Figaro“ diese Woche. Spätestens seit der Berliner Entscheidung gegen den Rheinmetall-Deal verliere diese Argumentation allerdings an Konsistenz.
„Was wäre, wenn Moskau eine Mistral vor die Küste Syriens entsenden würde, um den Alliierten Baschar al-Assad zu unterstützen, den Frankreich öffentlich zum Machtverzicht aufgefordert hat?“, fragt das Blatt provokativ. Auch wenn der Hubschrauberträger ohne Waffen geliefert werde, eröffne er Russlands Marine neue Möglichkeiten.
Einen Lösungsvorschlag für das „französische Dilemma“ kommt von Claudia Major und Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie brachten die Idee ins Spiel, die Schiffe von der EU kaufen zu lassen. „Mit Blick auf die gemeinsame maritime EU-Sicherheitsstrategie (...) wäre dies ein konsequenter Schritt“, kommentierten sie.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigte sich Ende Juli in einem ARD-Interview offen für eine Ersatzfinanzierung. Im Zweifel müsse die europäische Solidarität dazu beitragen, dass die Firmen nicht bankrottgehen, sagte der Vizekanzler. Es gehe nicht, dass Waffen geliefert würden, denen ein paar Jahre später Bundeswehrsoldaten gegenüberstünden, die in die Region geschickt würden, um sie zu befrieden. „Das ist, wenn man nicht aufpasst und nicht sehr vorsichtig ist, sehr schnell ein Geschäft mit dem Tod“, warnte Gabriel.