Analyse: Putin und Poroschenko sprechen über Frieden

Kiew/Moskau (dpa) - Bereits Stunden vor der überraschenden Nachricht aus Kiew beobachten die prorussischen Separatisten in der Ostukraine einen Rückzug ukrainischer Truppen. Seit Monaten fordern sie das Ende der blutigen „Anti-Terror-Operation“.

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Ist es das jetzt etwa - nach Tausenden Toten?

Völlig unerwartet zumindest spricht der ukrainische Präsident Petro Poroschenko auf einmal von einer Waffenruhe - nach einem Telefonat mit Kremlchef Wladimir Putin. „Inhaltsreich“ und „bedeutsam“ nennt der Kreml das Gespräch. Und Putin selbst hatte Poroschenko nicht nur einmal als „guten Partner“ gelobt.

Schließt die Ukraine nun also mit dem seit Monaten als „Aggressor“ im umkämpften Gebiet Donbass beschimpften Nachbarn Russland Frieden? Die Äußerungen Poroschenkos erst zu einer „dauerhaften Waffenruhe“, dann - abgemildert - zu einem „Regime der Feuerpause“, überraschen das politische Kiew mitten im Parlamentswahlkampf. Manche denken spontan an einen „Pakt mit dem Teufel Putin“ - noch dazu direkt vor einem Nato-Gipfel, bei dem der „Brandstifter“ im Blickpunkt steht.

Zugeständnisse an Russland in dem Konflikt hatte die von den USA und der EU unterstützte Ukraine eigentlich kategorisch ausgeschlossen. Doch nun geht Poroschenko erstmals auf Kernforderungen von Putin ein: Waffenruhe und ein Dialog mit den Separatisten. Die nächste Runde der internationalen Kontaktgruppe ist an diesem Freitag (5. September) geplant. Dort könnte die Feuerpause besiegelt werden. In einem Friedensplan schlägt Putin zudem vor, die Waffenruhe von internationalen Beobachtern kontrollieren zu lassen.

Woher kommt der plötzliche Kurswechsel? Kommentatoren in Kiew können sich das Einlenken nur mit den jüngsten Niederlagen der Regierungstruppen im Kampf gegen die Separatisten erklären. Die Aufständischen wiederum hatten zuletzt über massive Verstärkung aus Russland von regulären Soldaten - „im Urlaub“ - berichtet. Das ausgezehrte ukrainische Militär gilt als chancenlos gegen die Russen.

Offiziell hatte Putin zwar lange Zeit bestritten, Militärs in dem Konflikt einzusetzen. Doch zuletzt häuften sich Berichte über getötete Soldaten im umkämpften Gebiet Donbass. Vor allem auch Ultranationalisten und russisch-orthodoxe Christen, eine wichtige Machtstütze für den Präsidenten, hatten Putin in aller Schärfe aufgefordert, den Separatisten endlich mit „Profis“ beizustehen. Illegal auch nach russischem Recht ist das dennoch.

„Einen Waffenstillstand im Donbass zu erreichen, wird extrem schwierig werden“, meint der Politologe Dmitri Trenin vom Carnegie Center in Moskau. Es gebe keine klaren Befehlsketten - weder bei den Separatisten noch bei den regierungsnahen Truppen, die teils auch unter dem Kommando von Oligarchen stehen.

Eine bereits früher einmal von Poroschenko angeordnete Feuerpause nutzten die Konfliktparteien aus Sicht von Experten vor allem dazu, ihre Kräfte neu zu ordnen. Hoffnungen, dass die Friedensinitiative von Putin und Poroschenko Bestand hat, halten sich daher in Grenzen. Die Russen zweifeln zudem daran, dass der frühere Unternehmer Poroschenko als selbstständiger Politiker agiert. Sie halten ihn für eine Marionette der USA und der auf Hilfsgelder erpichten ukrainischen Oligarchen.

Bleibt auch die Frage, ob der Truppenrückzug und die Feuerpause den Separatisten nicht noch Auftrieb gibt, dieses und andere Gebiete abzuspalten. Die von Russland unterstützten Kräfte haben sich zuletzt widersprüchlich geäußert zur Zukunft der Region: Autonomiegebiet oder unabhängiger Staat oder Teil Russlands - wie die im März von Moskau einverleibte Schwarzmeerhalbinsel Krim? Die Meinungen der Menschen über den Status des Gebiets gehen seit langem auseinander.

Der Chef der ukrainischen Ultranationalisten-Partei Swoboda, Oleg Tjagnibok, fragt kritisch, „womit sein Land diese Waffenruhe politisch bezahlt“? Er befürchtet einen Zerfall der Ex-Sowjetrepublik - auch weil Putin den Südosten der Ukraine mit historischem Blick immer wieder Noworossija (Neurussland) nennt. Die Separatisten unternahmen zuletzt einen Vorstoß in Richtung Mariupol am Asowschen Meer - mit möglichem weiteren Ziel Odessa am Schwarzen Meer.

Für Poroschenko ist nun das Risiko groß, im Parlamentswahlkampf von den Nationalisten als „Totengräber der Ukraine“ an den Rand gedrängt zu werden. Allerdings werden in Kiew Stimmen von Friedenskräften lauter, die den Konflikt - wie viele in der EU - nicht mit militärischen Mitteln für lösbar halten. Die Aufständischen selbst jedenfalls signalisierten zuletzt - auch nach Appellen Putins - Bereitschaft zum Dialog.

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