Analyse: Randale und Proteste, Tore und Freudentaumel
Rio de Janeiro (dpa) - Brasiliens „Weltmeisterschaft der Weltmeisterschaften“ hat in jeder Hinsicht turbulent begonnen.
Während der Rekordweltmeister in São Paulos Corinthians-Stadion einen 3:1-Sieg gegen die starken Kroaten bejubelte und die „Seleção“-Fans in Ekstase verfielen, gossen die WM-Gegner Wermutstropfen in die „WM-Caipirinha“. In São Paulo, Rio, Belo Horizonte, Brasília, Porto Alegre und Fortaleza kam es zu Protesten, von denen einige in Randalen und Ausschreitungen mündeten.
Wenige Stunden vor Anpfiff der Partie in São Paulo gingen Bilder von Straßenschlachten um die Welt. Die Proteste begannen am Donnerstag an der Metro-Station Carrão etwa zehn Kilometer vom WM-Eröffnungsstadion entfernt. Maskierte Randalierer knickten Straßenschilder um, rissen Mülleimer aus den Halterungen und setzten den Müll in Brand. Zudem bewarfen sie Polizisten mit Steinen, die ihrerseits mit Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorging. Die Aktion wurde von zahlreichen Journalisten begleitet, die mit Helmen und Schutzmasken ausgestattet waren. Zehn Menschen wurden verletzt, darunter zwei CNN-Journalistinnen. Ihnen geht es aber gut, wie der Sender versicherte.
Proteste gab es auch in Rio de Janeiro, wo die WM-Gegner zunächst im Zentrum demonstrierten und eine Straße teilweise blockierten. Nach örtlichen Medienangaben nahmen etwa 2000 Menschen an dem Protest teil. Eine Gruppe zog direkt zum FIFA-Fanfest an der Copacabana. Dort feierten rund 20 000 Fans den WM-Auftakt. Die Polizeieinheiten waren massiv im Einsatz. Auch im WM-Spielort Belo Horizonte setzten die Sicherheitskräfte Gummigeschosse und Tränengas gegen Demonstranten des sogenannten Schwarzen Blocks ein. In Porto Alegre stürzten Randalierer ein Polizeiauto um. Auch aus Fortaleza und Brasília wurden Proteste gegen die WM gemeldet.
Das Weltturnier wurde in São Paulo mit einer Show eröffnet, an der über 600 Tänzerinnen und Tänzern teilnahmen, die künstlerisch die drei Schätze Brasiliens darstellten: Natur, Menschen und Fußball. Im Zentrum der Darbietung stand eine riesige beleuchtete Motiv-Kugel, die sich zum Schluss der Zeremonie öffnete und die Bühne freigab für die US-Sängerin Jennifer Lopez, den US-Rapper Pitbull und die brasilianische Sängerin Claudia Leitte. Das Trio sang den offiziellen WM-Song „We are one“. Unter den rund 62 000 Zuschauern waren auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Hollywood-Star Leonardo DiCaprio.
„Einfach und schnell: Eröffnungsfest begeistert Brasilien“, befand die Zeitung „Estado de São Paulo“ nach der rund 25-minütigen Show. Es gab aber auch kritische Stimmen. „Viel Freude und wenige gute Ideen“, schrieb die Zeitung „O Globo“, die von einer „lauen“ Eröffnungszeremonie sprach. Die „Folha de São Paulo“ meinte, bei der Zeremonie habe das Gefühl eines unvollendeten Werks vorgeherrscht. Es sei eine „schlecht gemachte Parade nationaler Klischees“ gewesen.
Es gab bei der Eröffnung wie angekündigt keine Reden von Präsidentin Dilma Rousseff und FIFA-Präsident Joseph Blatter. Damit wollten sich beide eine Erfahrung ersparen wie bei der Eröffnungsfeier des Confederations Cups 2013 in Brasília, als sie vom Publikum ausgepfiffen worden waren. Der Rasen in der nagelneuen Corinthians-Arena schien perfekt. Nur die Beleuchtung schwächelte. Etwa 25 Prozent der Flutlichtstrahler fielen kurzzeitig aus, was aber bei dem anfangs noch vorhandenen Tageslicht wenig auffiel.
An Rios Copacabana feierten Tausende brasilianischen Fans den Sieg am Abend mit Böllern. Viele sangen - wie auch die Fans im Stadion - „O Campeão voltou“ (Der Champion ist zurück). In diese Euphorie wollte der bekannteste TV-Moderator Brasiliens, Santos Galvão Bueno, kurz „Galvão“, bei TV Globo nicht einsteigen: „Calma (Ruhig)! Es ist erst der erste Schritt von sieben (bis zum Finale).“ Das Endspiel wird am 13. Juli in Rio ausgetragen.
Wichtig für die Stimmung im Land wird das Abschneiden der Gastgeber sein. Rund 70 Prozent der Brasilianer glauben Umfragen zufolge, dass ihre Seleção den Traum vom sechsten WM-Titel wahr machen wird. Und diese Überzeugung dürfte sich nach dem Auftaktsieg gefestigt haben. Fußballverbandschef José Maria Marin hatte die Latte Anfang der Woche ziemlich hoch gehängt: „Wenn wir die WM gewinnen, kommen wir alle in den Himmel. Wenn wir verlieren, landen wir in der Hölle.“