Analyse: Runterfahren und Neustart für den NSU-Prozess

München (dpa) - Nach dem Machtwort aus Karlsruhe wählt das OLG München den radikalen Weg: Der NSU-Prozess wird verschoben, die Presseplätze werden neu vergeben. Auch im Gericht herrscht Ratlosigkeit.

Alles war vorbereitet: Sicherheitsschleusen, Plätze für TV-Übertragungswagen, der für einen Millionenbetrag umgerüstete Verhandlungssaal. Doch zwei Tage vor dem geplanten Prozessbeginn zieht das Oberlandesgericht München die Notbremse: Der Prozess gegen Beate Zschäpe und die mutmaßlichen Helfer der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) wird verschoben. Die Plätze für Journalisten müssen neu vergeben werden.

Im Bemühen, alles formaljuristisch richtig zu machen, hatten die Richter die Presseplätze strikt nach der Reihenfolge der Anmeldung vergeben - und dabei in Kauf genommen, dass Vertreter türkischer Medien außen vor blieben. Jede Kritik an der Vergabe ließ das Gericht abperlen, obwohl acht der zehn Mordopfer des NSU aus der Türkei stammten.

Die türkische Zeitung „Sabah“ legte Verfassungsbeschwerde ein - und erst das Machtwort aus Karlsruhe brachte den Staatsschutzsenat zum Einlenken: Am Freitag wies das Bundesverfassungsgericht den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an, türkischen und griechischen Medien eine angemessene Zahl an Plätzen zu reservieren.

Wie das konkret geschehen sollte, ließen die Verfassungsrichter offen - es wäre wohl auch möglich gewesen, ein Zusatzkontingent für ausländische Medien zu schaffen. Doch der OLG-Senat wählte den radikalen Weg: Runterfahren, Neustart - Prozessbeginn nun am 6. Mai, knapp drei Wochen später als geplant.

Auch das mag juristischer Vorsicht geschuldet sein: Schließlich musste das Gericht einräumen, dass wegen eines technischen Fehlers nicht alle Medien gleichzeitig vom Beginn der Akkreditierungsfrist erfahren hatten. Das wäre durch die Vergabe von Zusatzplätzen nicht geheilt worden. Beate Zschäpes Anwälte hatten sich schon munitioniert: „Hätte das Gericht anders entschieden, hätten wir in der Hauptverhandlung beantragt, das Verfahren auszusetzen und ein neues Akkreditierungsverfahren durchzuführen“, sagte Verteidiger Wolfgang Stahl.

Als am Montag die Verschiebung bekannt wurde, setzte Pressesprecherin Margarete Nötzel kurzfristig eine Pressekonferenz an. „Ich weiß es nicht“, musste sie auf unzählige Nachfragen antworten — auf Fragen, wie es denn nun weitergeht, wann das neue Akkreditierungsverfahren beginnt, nach welchen Kriterien die Plätze dann vergeben werden, und ob dann türkische Medien auch garantiert einen Platz bekommen. Es wurde auch gefragt, ob sie einen Imageschaden für das Gericht sehe. Nötzels Antwort: „Dazu sage ich nichts.“

Bei alledem wird deutlich: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl scheint seine Entscheidungen nur mit sich selbst und seinem Senat auszumachen — auch wenn es um die Belange der Presse geht. „Es bedarf keiner großen hellseherischen Fähigkeiten, um sagen zu können: Das wird der Vorsitzende entscheiden und nur der Vorsitzende“, sagte Nötzel beispielsweise auf eine Nachfrage, wie genau das neue Akkreditierungsverfahren nun abläuft.

Ein Journalist merkte an, dass die Pressesprecherinnen nun öffentlich für das geradestehen müssten, was Götzl entscheide. Darauf antwortete Nötzel: Der Vorsitzende treffe die Entscheidungen, und sie müsse diese dann an die Medien weitergeben. „Das ist die Arbeitsteilung.“

Vor dem Gericht ist bereits ein Zelt aufgebaut, um wartende Besucher vor den Sicherheitsschleusen gegen Wind und Wetter zu schützen. Und drinnen, in den Fluren vor dem Saal, stehen schon unzählige Stellwände. Ob die nun bis zum 6. Mai stehen bleiben? Erneut O-Ton Nötzel: „Ich weiß es nicht.“