Analyse: Russland verbietet „Mörder-Gurken“ aus der EU

Moskau/Brüssel (dpa) - Russland macht die Grenzen für EU-Gemüse dicht: Wegen der Gefahr durch den Darmkeim EHEC hat das größte Land der Erde ein Importverbot für Gemüse aus den 27 Ländern der Europäischen Union verhängt.

Der Schritt löste bei der EU-Kommission in Brüssel scharfen Protest aus. Das Einfuhrverbot sei „unverhältnismäßig“, weil bisher vorrangig Norddeutschland von dem Ausbruch betroffen sei, kritisierte ein Sprecher. Die EU forderte am Freitag eine Rücknahme der Handelsblockade.

Moskaus Medien platzieren die „Mörder-Gurken“ aus der EU seit Tagen prominent. Beobachter sprachen von einer Machtdemonstration des Landes, das mit dem Schritt seine Stärke als Wirtschaftsnation und seine Bedeutung als Absatzmarkt beweisen wolle. Doch Russlands Agrarministerium und sogar das wegen der politischen Brisanz auf den Plan gerufene Außenministerium versicherten, es gehe nur um den Verbraucherschutz.

Das Einfuhrverbot für frisches Gemüse hatte zunächst nur für Deutschland und Spanien gegolten. Grund für die Verschärfung sei die andauernde Ausbreitung des Darmkeims EHEC, sagte Russlands oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko nach Angaben der Agentur Interfax. Der Zoll sei angewiesen, kein frisches Gemüse mehr über die Grenzen zu lassen. Alle verdächtigen Waren seien zudem aus dem Handel zu nehmen. Onischtschenko will den Importstopp erst aufheben, wenn klar ist, wo der Keim seinen Ursprung hat.

Lebensmittelketten in Moskau warnten vor einem Warenmangel und einem Preisanstieg. Nach Schätzungen ist etwa ein Viertel des Gemüse-Exports aus der EU für den russischen Markt bestimmt, wie Moskauer Medien berichteten. Das entspreche einem Wert von etwa drei bis vier Milliarden Euro. Russland gilt als größter Einzelmarkt für die Europäische Union. Der EU-Anteil am Gemüse-Import in Russland liegt den Medien zufolge bei etwa 15 bis 20 Prozent.

Agrarministerin Jelena Skrynnik beteuerte, dass angesichts der begonnenen Erntesaison genügend frische Produkte für den heimischen Markt vorhanden seien. Auch ein Preisanstieg sei nicht zu befürchten.

Der Handel sieht das allerdings anders. Für die Märkte sei das Importverbot ein schwerer Schlag, weil nun plötzlich und unerwartet etwa wichtige Großlieferungen aus Polen, Belgien und den Niederlanden ausblieben, sagte die Sprecherin der Lebensmittelkette „Sedmoj Kontinent“, Wlada Baranowa. Auch andere Anbieter beklagten spürbare Verluste, weil Gemüse aus den Regalen genommen und vernichtet werden müsse. Ersatz soll aus der Türkei und Israel kommen.

Allein bei der Kette Metro Cash&Carry liege der Anteil der EU-Produkte am Gemüseverkauf bei 40 Prozent, sagte ein Sprecher. Russische Gemüsebauern meinten, dass vor allem ein Mangel an Kraut und Mohrrüben eintreten könne. Sie reagierten überrascht auf die Art und Weise, mit der das Importverbot ohne öffentliche Debatte in Kraft gesetzt wurde. Diese „Unvorhersehbarkeit sei ein schlechtes Signal“ und schade dem Investitionsklima in Russland, sagte der Präsident des Verbandes der Gewächshausbesitzer, Viktor Semjonow.

Für die einheimischen Produzenten sei das Verbot nur vorläufig von Nutzen, erklärte der Direktor der Lenin-Sowchose, Pawel Grudinin, einer der größten Gemüseproduzenten Russlands. Russland sei nicht in der Lage, den Eigenbedarf an Gemüse selbst zu decken. Der Gemüseanbau könne nicht mithalten mit der Konkurrenz in der EU, in der Bauern staatliche Unterstützung erhielten. Grudinin meinte, dass die „Geschehnisse“ auch Teil eines Handelskrieges sein könnten, bei dem am Ende die Türkei und China die Märkte dominieren.

Das Thema dürfte auch den EU-Russland-Gipfel in der kommenden Woche in Nischni-Nowgorod beschäftigen. Russlands oberster Verbraucherschützer Onischtschenko kritisierte die schleppende Aufklärung der Ursachen für die EHEC-Epidemie. „Das zeigt uns doch, dass die immer wieder hochgepriesene europäische Hygienegesetzgebung, zu deren Übergang Russland bewogen wird, doch nicht funktioniert“, schimpfte Onischtschenko.

Russland steht immer wieder im Verdacht, Handelsblockaden als politisches Druckmittel zu benutzen. So besteht etwa schon seit Jahren ein Importverbot für Wein aus Georgien. Mit der Ex-Sowjetrepublik hatte Russland 2008 Krieg geführt.