Analyse: Schuldenkrise kehrt an den Ursprung zurück
Athen (dpa) - Am Anfang der Euro-Schuldenkrise stand das griechische Drama. Mit Portugal und Irland gerieten weitere Länder in den Strudel - selbst Italien drohte zu wanken. Nun flammt der ursprüngliche Krisenherd lichterloh auf - weil Athen nicht die versprochenen Fortschritte liefert.
Seit fast zwei Jahren muss Griechenland um seine Zukunft bangen. „Wir werden es schaffen“, sagt Regierungschef Lucas Papademos bei jeder Gelegenheit. Aber wann? Experten fürchten, dass das Land erst in mehr als zehn Jahren wieder ohne internationale Hilfe wirtschaften kann. „Du kannst nicht nach 40 Jahren Vettern- und Misswirtschaft binnen weniger Monate Ordnung herstellen“, heißt es in Athen aus höchster Quelle. „Wir brauchen Zeit.“
Die Probleme sind zwar nicht neu. Aber nun läuft die Zeit aus - unter dem Druck der internationalen Geldgeber, die bei der Gesundung der Staatsfinanzen endlich Fortschritte sehen wollen und die Geduld verlieren. Damit überhaupt weitere Hilfen fließen können, muss als erstes der geplante Schuldenschnitt von 50 Prozent so schnell wie möglich unter Dach und Fach gebracht werden. Andernfalls kann das neue Hilfspaket für Griechenland in Höhe von 130 Milliarden Euro nicht in die Tat umgesetzt werden.
Ministerpräsident Papademos und seine Crew kämpfen aber an mehreren Fronten. Neben den zähen Schuldenschnitt-Verhandlungen gibt es viele Baustellen, auf denen es nicht voran geht. Die größte ist der eigene Staatsapparat - und dessen notorischer Widerstand gegen Reformen. „Wir kämpfen hier mit einer Hydra“, heißt es aus höchsten Kreisen der Regierung in Athen - mit Blick auf das mythologische Schlangenungeheuer, dem stets Köpfe nachwachsen, sobald einer zerschlagen wird.
Eine geplante Verschlankung des Staates scheiterte sang- und klanglos. Dabei sollten bis Ende 2011 rund 30 000 Staatsbedienstete in die Rente gehen oder entlassen werden. Die Wirtschaft wird weiter von den drastischen Sparmaßnahmen abgewürgt. Fast sechs Prozent schrumpfte sie 2011. Auch für dieses Jahr, das Fünfte in Folge, wird mit einem Minus von drei Prozent gerechnet. Die Arbeitslosigkeit steigt unaufhaltsam. 18,2 Prozent betrug sie im Oktober. Vor einem Jahr lag sie bei 13,5 Prozent.
Griechenland hängt nach Einschätzung der Commerzbank-Volkswirte deutlich hinter seinem Konsolidierungsplan zurück. 2011 dürfte die Defizitquote allenfalls leicht auf 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gefallen sein. Auch 2012 werde sie wegen der tiefen Rezession ohne zusätzliche Maßnahmen deutlich weniger sinken als ursprünglich geplant. Außerdem gehe die Umsetzung der beschlossenen Strukturreformen zu langsam voran - ebenfalls eine Voraussetzung für weitere Finanzhilfen.
Selbst in Athen glaubt niemand mehr daran, dass bis 2015 durch Privatisierungen 50 Milliarden Euro eingetrieben werden können, wie es ein Plan der „Troika“ aus Experten der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) vorsah. Deren Experten werden kommende Woche wieder in Athen den Stand der Dinge prüfen.
Die Regierung Papademos will das Versäumte in der kommenden Woche mit einem sogenannten Multigesetz regeln. Steuerschuldner sollen hart verfolgt werden. Es sind aber auch günstige Regelungen für willige Steuerschuldner vorgesehen. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, in 60 Monatsraten, ihre Schulden an den Staat abzubezahlen. Auch die Steuerfahndung, die bislang wenig effizient war, soll verschärft werden. Rechtsanwälte sollen gegen größere Steuerschuldner vorgehen.
Papademos versucht zudem, die Wettbewerbsfähigkeit der schwachen griechischen Ökonomie zu fördern. Deren Problem ist auch der - im Vergleich zur früheren Drachme - „harte“ Euro. Anders als früher kann Griechenland seit dem Euro-Beitritt nicht mehr die eigene Währung abwerten, um über billigere Exporte seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen. Daher verlangt Papademos von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Vereinbarungen zu Lohnkürzungen in der Privatwirtschaft. Besser weniger verdienende Arbeitnehmer, als geschlossene Unternehmen und steigende Arbeitslosigkeit, so sein Credo.