Analyse: Schwarz-Gelb ohne Plan gegen Benzinpreise
Berlin (dpa) - Manchmal ist auch die Politik machtlos. Immer wenn die Benzinpreise auf rätselhafte Weise pünktlich zum Start der Osterreisewelle noch weiter steigen, preschen Regierungspolitiker mit Vorschlägen zur Entlastung der Autofahrer vor.
Mal wollen sie den Ölkonzernen Fesseln anlegen oder den Wettbewerb stärken. In diesem Jahr bei Schwarz-Gelb hoch im Kurs: eine höhere Pendlerpauschale und ein striktes Verbot für mehrmalige Preiserhöhungen pro Tag.
Am Sonntagabend berichtete Taxifahrer Karl-Heinz Gehlsdorf aus Köln in der ARD-Sendung „Günther Jauch“ von einem besonders ärgerlichen Reinfall an der Zapfsäule. Als er mit seinem Wagen zur Tankstelle fuhr, war der Preis günstig. Gehlsdorf ging noch kurz auf die Toilette. „Es war nicht ein großes Geschäft, es dauerte keine zwei Minuten“, erzählt Gehlsdorf. Als er die Toilette an der Tankstelle verließ, war der Literpreis um satte 13 Cent gestiegen.
Die Verärgerung der Autofahrer führt nun wieder zu hektischem Treiben, doch die meisten Energieexperten sind sich einig: Staatliche Eingriffe in den Markt und die Preisgebung nach oben wie nach unten garantieren keine niedrigeren Preise. Sie könnten im Gegenteil sogar noch steigen, lehren Erfahrungen aus Österreich und Westaustralien. Unterstützung für die Vermutung kommt aus der Wissenschaft. „Eine experimentelle Analyse hat deutliche Hinweise ergeben, dass keine der diskutierten Maßnahmen zu niedrigeren Preisen führt“, sagte der Vorsitzende der Monopolkommission, Professor Justus Haucap.
Also dem verärgerten Bürger mit mehr Geld beispringen? Schließlich ist der Staat der größte Profiteur hoher Spritpreise. Je Liter Benzin werden 65,5 Cent Mineralölsteuer fällig, außerdem werden 19 Prozent Mehrwertsteuer erhoben. Das macht zusammen gerade mehr als 90 Cent pro Liter aus. „Derzeit nimmt der Bund durch die hohen Preise über die Mehrwertsteuer rund zwei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich ein“, sagt FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Daher gebe es Spielräume, um die Pauschale von 30 Cent pro Kilometer um 5 bis 10 Cent zu erhöhen.
Auch aus der CSU und der CDU in Nordrhein-Westfalen, wo bis zur Landtagswahl am 13. Mai ein Rückstand auf die SPD wettgemacht werden soll, wird eine höhere Pendlerpauschale gefordert. 2011 kostete sie den Staat 4,4 Milliarden Euro. Laut ADAC müssen Pendler bei einem Weg von zehn Kilometern zur Arbeit heute bei 220 Arbeitstagen 167,55 Euro mehr für Super Benzin bezahlen als vor zehn Jahren, bei 50 Kilometern sind es sogar 837 Euro mehr - die Pendlerpauschale deckt hier die Kosten nicht.
Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) wollen nicht an der Höhe von 30 Cent rütteln - zumal wegen der Euro-Krise der Druck zum Sparen hoch ist. Die um ihr politisches Überleben kämpfende FDP hat das Thema als neuen Strohhalm entdeckt. Der nächste schwarz-gelbe Koalitionsknatsch ist damit schon programmiert, zumal die Preise nicht wie sonst nach Ostern wieder deutlich sinken dürften. Die Wirtschaft warnt bereits, dass ein Literpreis von zwei Euro und mehr die Konjunktur abwürgen könnte. Die Deutsche Industrie- und Handelskammertags (DIHK) fordert, die Energiesteuer zu senken - doch Schäuble bleibt auch hier bisher hart.
Die Grünen finden die aktuelle Benzinpreisdebatte verlogen. Grünen-Energieexperte Hans-Josef Fell betont: „Die Ursache für den erhöhten Benzinpreis liegt doch nicht im Finanzministerium in Berlin, sondern in der Verknappung der Öl-Ressourcen.“ Eine Erhöhung der Pendlerpauschale oder eine Senkung der Mineralölsteuer führten nur zur steigender Haushaltsverschuldung, aber nicht zu einem sinkenden Ölpreis. Es müsse jetzt darum gehen, „uns endlich unabhängig vom Öl zu machen und auf Verkehrsvermeidung, nachhaltige Biokraftstoffe und Ökostrommobilität zu setzen“, meint Fell.
Merkels Sprecher Steffen Seibert betont, statt über eine höhere Pendlerpauschale zu streiten, müsse man beim Wettbewerbsrecht ansetzen, um Marktmissbrauch durch die fünf großen Ölkonzerne zu vermeiden. Doch schon vor einem Jahr stand eine Begrenzung der großen fünf Mineralölkonzerne ganz oben auf der Agenda. „Warm anziehen“, müssten sich die Konzerne, sagte Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) damals. Den Worten folgten keine nennenswerten Taten. Das hat eine lange Tradition. Schon Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) forderte 2005 folgenlos mehr Transparenz auf den Ölmärkten und Kampf gegen die Spekulation. Da war der Rohölpreis gerade über 50 Dollar je Barrel gestiegen.
Zumindest wurde eine schon bestehende Schutzklausel für kleinere Tankstellen beim Einkauf in den Raffinerien verstetigt. Doch gegen BP/Aral, ConocoPhillips, ExxonMobil, Shell und Total kann die Politik kaum vorgehen. Das Bundeskartellamt konnte auch nach mehrjähriger, intensiver Analyse den Vorwurf illegaler Absprachen nicht nachweisen. Es stellte fest, dass Tankstellenmitarbeiter die Kraftstoffpreise an fremden Tankstellen in der Umgebung mehrfach täglich beobachten und an die Unternehmen melden. Das allerdings ist normales marktwirtschaftliches Verhalten; alle Unternehmen in allen Branchen beobachten ihre Konkurrenz. Anders wäre Wettbewerb gar nicht möglich.
Kartellamts-Präsident Andreas Mundt kritisiert zudem immer wieder, dass mit Aral und Shell stets die beiden Marktführer die Preiserhöhungen anführen und der Rest des Marktes in drei bis fünf Stunden nachzieht. Aber auch das ist marktwirtschaftlich erklärbar. Esso, Total und den anderen Marktteilnehmern fehlt die Kraft, solche Preissignale zu setzen, sie sind im Vergleich zum Gesamtmarkt zu klein. Und auch die Preiserhöhungen von Aral und Shell halten nicht lange. Sie sind nach ein bis zwei Tagen wieder verschwunden und die nächste Preisrunde beginnt.
Dabei haben sich die Muster stark verändert: Konnte man 2011 noch am Montag besonders günstig tanken und musste abends und zum Wochenende deutlich mehr bezahlen, sind derzeit keine Regeln erkennbar.