Analyse: Schwarz-Gelb will ernst machen mit Atomausstieg
Berlin (dpa) - Ambitioniertes Prüfprogramm oder Nebelkerze? Die Regierung lässt die 17 AKW auf Herz und Nieren checken. Doch die Grünen glauben noch nicht, dass dies zur Abschaltung der ältesten Meiler führt.
Aber die Zeichen verdichten sich: Union und FDP wollen raus aus der Atomkraft.
Norbert Röttgen gibt sich ganz entspannt. Die Beine übereinander geschlagen, stellt er ein Programm vor, dass es auf den ersten Blick in sich hat. Es könnte dazu führen, dass ausgerechnet ein CDU-Umweltminister die Ära der Atomkraft in Deutschland endgültig beendet. Er sagt am Donnerstag bei der Vorstellung des Prüfkatalogs für die deutschen Atomkraftwerke, die Katastrophe von Fukushima sei ein Ereignis, an das sich jeder noch in Jahrzehnten erinnern werde.
Brisanz birgt besonders die Maßgabe von Röttgens Beratergremium, der 16-köpfigen Reaktorsicherheitskommission (RSK), dass nun die Auswirkungen von Flugzeugabstürzen auf die Meiler getestet werden sollen. Die Hüllen der vor 1980 ans Netz gegangenen Anlagen sind teilweise weniger als 50 Zentimeter dick, und eine Nachrüstung ist zu teuer - damit könnten diese Meiler vor dem Aus stehen.
Aber es könnte auch anders kommen. So hat manche neue Anlagen Schwächen beim Sicherheitsmanagement gegenüber älteren Meilern. Daher ist noch nicht ausgemacht, ob nur der Schutz vor Flugzeugabstürzen den Ausschlag gibt. Und letztlich könnten erhöhte Nachrüstforderungen dazu führen, dass mehr als sieben oder acht Meiler vom Netz gehen.
„Es wird ein sehr differenziertes Ergebnis werden“, prophezeit Röttgen, als er zusammen mit dem Kommissionsvorsitzenden Rudolf Wieland das Prüfprogramm für die 17 Anlagen vorlegt. Die Arbeit der Kommission wird nicht leichter durch den Vorstoß von FDP-Generalsekretär Christian Lindner, die acht vorübergehend abgeschalteten Anlagen dauerhaft stillzulegen: also die sieben ältesten AKW Isar I, Neckarwestheim I, Philippsburg I, Biblis A und B, Unterweser und Brunsbüttel sowie den Pannen-Reaktor Krümmel.
Da nicht auf einen Schlag mehr als 20 Prozent des Strommixes ersetzt werden können, geht es auch darum, mit der Prüfung das Restrisiko weiter zu minimieren. Wo der rot-grüne Atomausstieg bis zum Gesetz fast drei Jahre dauerte, will Röttgen nun die Eckpfeiler bis Mitte Juni klären. Es scheint klar, dass angesichts der angestrebten Laufzeitverkürzung und Abschaltung mehrerer Meiler ein neues Gesetz her muss. „Das ist nicht einfach ein Frühlingsspaziergang“, sagt er mit Blick auf den engen Zeitplan.
Doch der fünfseitige Anforderungskatalog bleibt schwammig. Und er fällt deutlich zurück hinter ein Papier aus Röttgens Abteilung für Reaktorsicherheit, das detaillierte Vorschläge macht: etwa die Verbunkerung aller Notstromeinrichtungen und wichtigen Leitungen und die Existenz verbunkerter Notsteuerstellen für jeden Reaktorblock. Wieland aber spricht von einem Stresstest, der Maßstäbe setze.
Röttgen will auf Basis der Ergebnisse eine gesellschaftliche Mehrheit für einen neuen Atomkonsens anstreben. Auch die Opposition soll eingebunden, die Atomkonzerne sollen gehört werden. Die Betreiber können nicht auf Zugeständnisse hoffen, aber die Regierung will auch Klagen vermeiden. Und für die Energiewende will sie durch einen neuen Konsens eine Investitionssicherheit schaffen, die laut Röttgen sicher einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten wird.
80 bis 100 Fachleute sollen unter Federführung der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) bis Mitte Mai bisher kaum berücksichtigte Ereignisse durchspielen: Was etwa passiert bei Staudammbrüchen oder Sturmfluten? Was bei starken Erdbeben? Zudem sollen Absturzszenarien durchgerechnet werden, je nach Flugzeug, Geschwindigkeit, Kerosinmenge und Aufprallwinkel auf das AKW. Zudem kommen Kühl- und Notstromsysteme auf den Prüfstand. Es wird vor allem eine Prüfung per Papier, vorliegende Daten werden neu durchgerechnet.
Der Schwachpunkt beim Schutz vor Flugzeugabstürzen ist lange bekannt. In Röttgens Haus gab es vor der Laufzeitverlängerung eine Nachrüstliste mit summierten Kosten von rund 50 Milliarden Euro. Sie verschwand in der Schublade. Zu rot-grünen Zeiten wurden nach dem Angriff in den USA vom 11. September 2001 im Simulator Attacken auf AKW durchgespielt, die Ergebnisse sind Verschlusssache. Der Kompromiss war später, dass ein Angriff mit einer Vernebelung der Anlagen nur erschwert werden sollte - um Kosten zu sparen.
Heute sagen die Grünen, der Prüfkatalog der Sicherheitskommission sei unzureichend, man solle sich an dem Papier aus dem Röttgen-Haus orientieren. Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn kritisiert, dass einige RSK-Mitglieder der Atomwirtschaft zugeneigt seien. „Für mich sieht alles danach aus, dass über die Zukunft der Reaktoren im Hinterzimmer zusammen mit den AKW-Betreibern entschieden werden soll, weil die Sicherheitsüberprüfung absolut nebulös und unzureichend angelegt ist.“