Analyse: Sprengstoff in Zahnpastatuben?

Sotschi (dpa) - Terroristen könnten Sprengstoff in Zahnpastatuben per Flugzeug nach Russland transportieren, noch in der Luft zünden oder erst in den Olympiaanlagen. Eine entsprechende US-Warnung erwischt den russischen Vize-Regierungschef Dmitri Kosak kurz vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele am Schwarzen Meer kalt.

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Im Fischt-Stadion an der sonnigen Küste bereiten sich die Gastgeber auf ihre Show des Jahres vor - mit Kremlchef Wladimir Putin als „Herr der Ringe“. Mitten in den Proben kommen solche Alarmsignale höchst ungelegen.

Natürlich betont Kosak vorschriftsmäßig, dass jeder Hinweis auf eine Gefahr ernst genommen werde. Das Eröffnungsfeuerwerk für Olympia an diesem Freitag sei sicher. Putin, der selbst einst den berüchtigten Inlandsgeheimdienst FSB leitete, gilt als Meister in Sachen Sicherheit. Geheimdienstler vieler Länder - auch das Bundeskriminalamt - sind in Sotschi vertreten. Sie arbeiten in einem Sonderstab zusammen, wie Putin dankend hervorhebt.

„Alle Informationen, die wir haben, sprechen von sicheren Spielen“, sagt Kosak. Allerdings kenne die weltweite Terrorgefahr keine Grenzen. Russen und US-Amerikaner wissen das wie viele andere Länder aus eigener Erfahrung. Anschläge, verübt von Terroristen aus dem russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus, die dort für einen unabhängigen islamischen Gottesstaat kämpfen, haben immer wieder auch das Kernland des Riesenreichs erschüttert.

Der auch von den USA gesuchte tschetschenische Top-Terrorist Doku Umarow hatte per Videobotschaft gedroht, die Spiele, „mit allen Mitteln, die Allah erlaubt“, zu verhindern. Schon von daher ist Sotschi in Alarmstimmung. Überall stehen Metalldetektoren, überall kontrollieren Sicherheitskräfte an den Eingängen zu Gebäuden oder Anlagen Taschen - es geht meist zu wie bei den Checks vor einer Flugreise. Auch Flüssigkeiten behalten die Uniformierten gern mal ein - Zahnpastatuben bisher aber nicht. Sie konfiszieren allenfalls größere Mengen Wasser oder Kosmetika.

Einige Beobachter halten die US-Warnung vor womöglich mit Sprengstoff gefüllten Zahnpastatuben eher für ein politisches Störmanöver vor dem Start der Winterspiele. Moskau und Washington haben viele Rechnungen offen. Unter anderem ärgern sich die USA über das russische Asyl für den von amerikanischen Behörden gesuchten Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. Der US-Bürger hatte die NSA-Spionageaffäre ins Rollen gebracht - und lebt derzeit in Moskau an unbekanntem Ort.

„Das Niveau der Sicherheit in Sotschi ist nicht schlechter als in New York, Boston oder Washington“, betont Kosak. Der Seitenhieb ist wiederum deutlich herauszuhören - angesichts der in jenen US-Städten bereits verübten Terroranschläge. Die Russen haben stets betont, dass ein Anschlag wie zuletzt beim Boston-Marathon bei ihnen nicht vorkommen dürfe.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Der russische Geheimdienst hat deutlich mehr Vollmachten als viele vergleichbare Organisationen im Westen - zum Abhören von Telefonaten und zur totalen Internetkontrolle. 40 000 Uniformierte und zudem Zehntausende Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Drohnen in der Luft, U-Boote für die Aufklärung an der Küste und 5500 Überwachungskameras - der Aufwand ist nicht zu übersehen.

Zum ersten Mal bei Olympischen Spielen gibt es auch einen Fanpass - so etwas wie ein Einreisevisum in die Olympia-Sicherheitszone. Besucher nur mit Tickets haben also keinen Zugang - jeder Antrag für den zusätzlich nötigen Fanpass wird von den Sicherheitsbehörden bearbeitet. Das System scheint zu funktionieren. Sogar Oppositionelle und Umweltaktivisten beklagen schon, dass sie keinen Zugang bekämen.

Auch Autos dürfen nur mit Sondergenehmigungen in der Sicherheitszone fahren. So sollen vor allem Anschläge - wie im Nordkaukasus fast alltäglich - mit Autobomben oder durch Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürteln verhindert werden.

„Im Allgemeinen sind autoritäre Regimes in der Lage, Sicherheit zu gewährleisten. Manchmal sogar besser als demokratische“, sagt die Moskauer Politologin Lilija Schewzowa. Sie meint, dass Demokratien mehr Rücksicht auf persönliche Freiheiten nehmen müssten. Allerdings, darauf verweisen Anti-Terror-Experten, gebe es die völlige Sicherheit ohnehin nicht.