Analyse: Steinbrücks Pose motiviert die FDP

Mainz (dpa) - Am frühen Abend interessiert die Ampel-Absage im Mainzer Schloss plötzlich keinen Liberalen mehr. Handys werden herumgereicht, gestandene Abgeordnete schütteln fassungslos den Kopf.

Das „Stinkefinger“-Foto von Peer Steinbrück für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ macht die Runde. Philipp Rösler kommt auf die Saaltribüne zu den Journalisten: „Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat. So etwas geht nicht“, meint der Vizekanzler.

Ein anderer aus der FDP-Spitzenriege sagt, Steinbrück habe das Rennen um das Kanzleramt offensichtlich aufgegeben. Anders sei das Bild nicht zu interpretieren. „Steinbrück hat sich nicht im Griff.“ Abzuwarten bleibt aber, wie die Bürger darauf reagieren. Viele schätzen Steinbrücks klare Kante und dass er sich nicht verbiegt.

Die Liberalen können es kaum fassen. Erst liefern ihnen die Grünen mit dem fleischlosen Kantinentag und einem Katalog an Steuererhöhungen gute Argumente für die Mittelschicht frei Haus - nun sorgt Steinbrück just in dem Moment wieder für Schlagzeilen, als es für die SPD endlich aufwärtsgeht.

Die Grünen zieht Rösler genüsslich durch den Kakao. Die Öko-Partei wolle eine Verbotsrepublik. „Warum sind die Grünen eigentlich fürs Kiffen, wenn sie Rauchen verbieten wollen.“ Als Mediziner könnte er ja sagen, gut, sie haben noch Kekse - „aber die haben sie ja auch schon verboten“, ruft Rösler und die Anhänger johlen. Sie springen nach seiner Rede auf, feiern den Vorsitzenden, der Anfang des Jahres noch kurz vor dem Aus stand.

Kurz danach erleben die Besucher eine Schrecksekunde. Ihr Spitzenkandidat Rainer Brüderle bleibt beim Betreten der Bühne an der letzten Treppenstufe hängen und stürzt. Rösler, Generalsekretär Patrick Döring und andere eilen zu Brüderle, der sofort wieder auf den Beinen ist.

„Meine Damen und Herren, es ist nix passiert. Es war nur ein bisschen glatt“, sagt Brüderle und hält danach eine engagierte Rede, als sei nichts gewesen. Im Juni war der 68-Jährige privat schon einmal an einer Treppe gestürzt. Er zog sich Brüche an linkem Arm und Oberschenkel zu, musste mehrere Wochen pausieren und in die Reha. Nach der Zwangspause ist Brüderle aber längst wieder fit und bundesweit als FDP-Zugpferd unterwegs.

Die gute Stimmung in Mainz kann aber nicht verbergen, dass in der Partei die Nervosität wächst. Dreimal - in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen - schaffte es zuletzt die FDP, den Meinungsforschern ein Schnippchen zu schlagen.

Dort waren die Umfragen bis zum Wahltag immer schlecht, dann schoss die Partei jeweils auf 8 bis 10 Prozent hoch. Können Brüderle und Rösler am 22. September einfach die Repeat-Taste drücken? Mancher zweifelt daran. Zumal die FDP schon am Sonntag in Bayern aus dem Landtag fliegen könnte.

So stemmt sich die Partei nicht nur gegen Rot-Rot-Grün, sondern auch gegen eine drohende große Koalition. „Extrem gefährlich, weil extrem teuer“, warnt Rösler. SPD-Chef Sigmar Gabriel könne Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dann sofort höhere Steuern und den Mindestlohn abpressen. Wieder ein Nadelstich der FDP gegen Merkel, wie das Zweitstimmen-Kuchenessen bei Altkanzler Helmut Kohl in Oggersheim. Brandgefährlich könnte es werden, wenn Merkel im Endspurt spüren sollte, mit der FDP sei der Sieg nicht zu holen. Ihre Union könnte noch heftiger um jede bürgerliche Stimme kämpfen, um sich für eine große Koalition stark zu machen.