Analyse: Stillstand in Brüssel
Brüssel (dpa) - Fast entspannt ging es zu auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Aber nur deshalb, weil heiße Eisen nicht so recht angepackt wurden. Das sollen die Minister machen, sagen die Chefs. Ob das reicht?
Brüssel (dpa) - Fast entspannt ging es zu auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Aber nur deshalb, weil heiße Eisen nicht so recht angepackt wurden. Das sollen die Minister machen, sagen die Chefs. Ob das reicht?
Mario Draghi, der mächtige Chef der Europäischen Zentralbank, wollte auf Nummer Sicher gehen. Deshalb hatte er für das nächtliche Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone ein paar Grafiken und Schaubilder mitgebracht: Land für Land demonstrierten die bunten Bilder die Entwicklung von Löhnen und Produktivität. Klar, dass die Kurven der Krisenländer aus dem Süden massiv auseinanderliefen. Löhne zu hoch, Produktivität zu niedrig. Es habe sich eine angeregte Diskussion entwickelt, berichteten Teilnehmer. Zumindest gab es diesmal keinen Zoff.
Gipfel? Schon eher die Mühen der Ebene, die Kanzlerin Angela Merkel und die anderen 26 Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag und Freitag auf sich nahmen. Eine Zwischenetappe, wieder einmal. Am Rande des Weges waren zwar ein paar gefährliche Minen versteckt, aber zur Explosion kam keine von ihnen. Zypern und Italien, Syrien und Ungarn, alle Bedrohungen wurden dadurch umschifft, dass sie nur unverbindlich angesprochen wurden. Fortschritt sieht anders aus. Im Juni sehen wir uns wieder.
So kann man es auch machen: Das Thema Zypern wird den Finanzministern überlassen, die sich gefälligst rasch über das dringend notwendige Hilfspaket verständigen mögen. Schuldenschnitt für die Insel? Keine Entscheidung. Das Thema Ungarn bleibt in der Hand von Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der prüfen soll, ob die umstrittenen Verfassungsänderungen die EU-Verträge verletzen. Syrien und die Waffenlieferungen für die Opposition sind Aufgabe der Außenminister. Ob es überhaupt eine gemeinsame Linie geben wird, bleibt zweifelhaft.
Und angesichts der drohenden Regierungsunfähigkeit Italiens gab es nur bedauerndes Schulterzucken. Dabei forderte der scheidende italienische Ministerpräsident Mario Monti in einem Abschiedsbrief fast flehentlich: „Wachstum zu beleben und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen wäre die beste Botschaft, um der ansteigenden Welle des Populismus zu begegnen.“
Die derzeit etwas schläfrige Eurokrise, die jederzeit wieder zu sich kommen und Angst und Schrecken verbreiten kann, bleibt die große Bedrohung. Hier ist der fundamentale Konflikt ungelöst, wie Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik mit dem notwendigen Wachstum auch zur Bekämpfung der dramatischen Arbeitslosigkeit zusammenpassen sollen. „Geld ist da. Jetzt muss das Geld zu den Menschen kommen“, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Aber die 2012 in Aussicht gestellten 120 Milliarden Euro an Wachstumshilfen sind immer noch nicht aktiviert.
Auch sind die Meinungen darüber geteilt, ob etwa der konsequente Einsatz der Schuldenbremse in Deutschland wirklich Sinn macht, während europäische Krisenländer mit einer Rezession und der Gefahr sozialer Verwerfungen kämpfen müssen. Das Mantra aus Berlin ist dabei unverändert: Wachstum und Konsolidierung sind keine Widersprüche. Aber stimmt das wirklich? „Deutschland ignoriert die Wachstumsforderungen der Eurozone“, titelte am Donnerstag die „Financial Times“.
Auch die Kommission will es hier nicht auf einen fundamentalen Konflikt mit Berlin ankommen lassen. Sparen oder Wachstum, das sei schon fast eine „philosophische Frage“, heißt es aus dem Stab von Barroso. Der setzt auf „differenzierte wachstumsfreundliche Konsolidierung“, in Berlin lässt man den Terminus „differenziert“ lieber weg, schließlich könnte er als Einladung gelesen werden, in einigen Krisenländern eher weniger zu konsolidieren.
EZB-Chef Draghi konnte seine Schaubilder wieder einpacken und zufrieden nach Frankfurt zurückkehren. Er hat mit der Entscheidung zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen die Euro-Krise entschärft. Aber damit - und das betont auch Draghi immer wieder - wurde nur Zeit gekauft, Zeit für echte Reformen. Auf dem Juni-Gipfel werden die Staats- und Regierungschefs einen neuen Anlauf nehmen.