Analyse: Straßenkrieg in Damaskus treibt Syrer zur Flucht
Beirut/Kairo (dpa) - Die Kämpfe in der syrischen Hauptstadt machen den Menschen das Leben zur Hölle. In den Straßen wird geschossen. Bei 40 Grad Hitze fallen Strom und Wasser aus. Wer kann, rettet sich in die Nachbarländer.
Kampfhelikopter kreisen über Damaskus und feuern Raketen ab. Haubitzen schießen von den Anhöhen Granaten, Panzer rasseln durch die Straßen. Mitten im Wohngebiet liefern sich Freischärler in Jeans mit Schnellfeuergewehren und Panzerfäusten heftige Kämpfe mit dem Militär. Seit die syrischen Aufständischen Machthaber Baschar al-Assad ernsthaft in Bedrängnis bringen, sind einige Bezirke der Hauptstadt zur Kampf- und Todeszone geworden.
Die Menschen verschanzen sich in ihren Häusern und Wohnungen - oder wagen die Flucht. Knapp 50 Kilometer sind es von Damaskus bis zur libanesischen Grenze. Allein in den vergangenen beiden Tagen sollen sich 30 000 Syrer in den benachbarten Zedernstaat gerettet haben, berichtet die Beiruter Tageszeitung „Daily Star“. Noch einmal so viele könnten schon vorher dagewesen sein. So genau weiß das niemand, weil sich nur schätzungsweise die Hälfte aller Geflohenen als Flüchtling registrieren lässt.
Über eine Viertel Million Syrer dürften seit Beginn der Aufstände vor mehr als 16 Monaten das Land verlassen haben. Rund 140 000 flüchteten sich nach Jordanien, mehr als 40 000 in die Türkei. Rund eine Million der insgesamt 21 Millionen Syrer sind nach Schätzungen des UN-Hilfswerks UNHCR Flüchtlinge im eigenen Land. Sie haben ihre Heimatorte aus Angst um ihr Leben verlassen.
Damaskus war bis zur vergangenen Woche von den Kämpfen weitgehend verschont geblieben. Dann trugen die Rebellen mit ihrer Offensive „Damaskus-Vulkan“ den Aufstand ins Machtzentrum des Regimes. Den bislang schwersten Schlag fügten sie Präsident Assad mit dem Bombenanschlag auf den nationalen Krisenstab zu. Vier Top-Vertreter des Regimes starben, unter ihnen der Verteidigungsminister und ein Schwager von Assad.
Zeitgleich brachen in den Bezirken Al-Hadschar al-Aswad, Al-Messe, Sahera, Tadamon und selbst im zentralen Stadtviertel Al-Midan erbitterte Straßenkämpfe aus. „Jeder Tag stellt für die Menschen, die zwischen die Fronten geraten sind, eine neue Herausforderung dar“, berichtet die Delegationsleiterin des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) in Damaskus, Marianne Gasser. „Es wird immer schwieriger, etwas einkaufen zu gehen oder selbst nur das Haus zu verlassen.“
Der Krieg in der Stadt ruiniert die Infrastruktur. Bei Sommertemperaturen von 40 Grad fällt der Strom aus, die Wasserversorgung bricht zusammen. „Viele Geschäfte haben geschlossen. Alles ist teurer geworden“, stellt Jean-Marie Falzone, Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Beirut, fest. „Es fehlt an Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Medikamenten und Milch für Kinder.“ Für rund 1,5 Millionen Syrer ist die Versorgungslage durch die eskalierenden Kämpfe prekär geworden, schätzt das Rote Kreuz.
Anfangs waren eher die wohlhabenderen Syrer geflohen. Im Libanon fanden sie oft bei Verwandten Unterschlupf oder mieteten selbst eine Bleibe. Als „Touristen“ oder „Verwandtenbesucher“ bleiben ihnen die Nachteile und der Makel erspart, die mit der Registrierung als Flüchtling verbunden sind. Doch jetzt kommen nach Angaben von Helfern auch die Ärmeren, Hilfsbedürftigeren. „Manche tragen nur ihr Hemd auf dem Leib, häufig nach vielen Monaten der (bürgerkriegsbedingten) Arbeitslosigkeit und nachdem alle ihre Ersparnisse aufgezehrt sind“, heißt es in einem Bericht des UNHCR.
Dabei war Syrien bis vor kurzem selbst noch Aufnahmeland für Flüchtlinge: Hunderttausende Iraker flohen auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs zwischen Sunniten und Schiiten Mitte der 2000er-Jahre in das damals friedliche und wohlhabende Nachbarland. Rund 150 000 Iraker sollen sich heute noch in Syrien aufhalten, schätzt die Regierung in Bagdad. Nun sollen sie alle zurückgeholt werden, die Vorbereitungen laufen.
Denn solange sich Assad an die Macht klammert, wird in Syrien weitergekämpft. Immer mehr Menschen werden sich zur Flucht entschließen und die Nachbarländer belasten, die ihnen Kost und Logis gewähren müssen - ob sie wollen oder nicht.