Analyse: Syrische Chemiewaffen sind Israels Albtraum

Tel Aviv (dpa) - Israel sieht das Regime Assad am Ende. Im Endzeitchaos gilt die größte Sorge den Chemiewaffen, die radikalen Gruppen in die Hände fallen könnten. Israel will das verhindern - notfalls militärisch.

Bisher hatte Jerusalem die blutigen Kämpfe im Nachbarland Syrien eher als unbeteiligter Zaungast beobachtet. Doch je näher ein möglicher Sturz des Präsidenten Baschar al-Assad rückt, desto wahrscheinlicher wird es, dass Israel in den Konflikt hineingezogen werden könnte. Assads Regime verfügt über das größte Chemiewaffen-Arsenal im Nahen Osten. „Wir befürchten, dass diese Waffen im Chaos in die falschen Hände fallen könnten“, sagte der ehemalige Luftwaffenchef Eitan Ben Eliahu am Sonntag. Damit sind vor allem radikalislamische Gruppierungen wie die libanesische Hisbollah oder das internationale Terrornetzwerk Al-Kaida gemeint.

Ein solches Horrorszenario will Israel um jeden Preis verhindern. Man könne auf keinen Fall akzeptieren, dass Hisbollah solche hochmodernen Waffen erhalte, betonte Verteidigungsminister Ehud Barak am Sonntag. Er habe die Armee schon angewiesen, sich auf ein mögliches Eingreifen vorzubereiten, sagte er offen im Fernsehen.

Ein militärisches Eingreifen in Syrien wäre für Israel allerdings ein gefährliches Vabanquespiel mit unabsehbaren Konsequenzen. In den Bürgerkriegswirren ist es zudem schwierig, den richtigen Zeitpunkt für eine solche Operation zu finden. „Wir können keine Aktion starten, solange Assad noch an der Regierung ist“, sagte Ben Eliahu während einer Debatte im Zweiten Israelischen Fernsehen. „Aber wir dürfen auch nicht zu spät kommen.“

Der israelische Politexperte Professor Ejal Zisser kann sich einen israelischen Alleingang nicht vorstellen und plädiert für eine internationale Allianz zur Sicherung des syrischen Waffenarsenals. „Das ist ein Problem von allen“, sagte Zisser der Nachrichtenagentur dpa. Besonders die USA, die Türkei, Jordanien und Russland hätten kein Interesse daran, dass gefährliche C-Waffen - chemische Waffen - in die Hände radikaler Islamisten gelangten. Israel dürfe sich „nicht nach vorne drängeln“.

Ein Sturz Assads hätte für das Kräfteverhältnis im Nahen Osten weitreichende und teilweise kaum absehbare Folgen. Positiv wäre für Israel, dass sein Erzfeind Iran seinen wichtigsten Stützpfeiler in der Region verliert. „Das iranische Fenster in der Levante schließt sich“, sagte der Ex-Luftwaffenchef. Jerusalem hofft auf ein Zerbrechen der Achse Iran-Syrien-Hisbollah. Fällt Assad, würde Israel aber auch einen Nachbarn verlieren, der bei aller Feindseligkeit für weitgehende Ruhe an der gemeinsamen Grenze gesorgt hat.

Israel stellt sich nun auf ein rasches Zerbröckeln des Assad-Regimes ein - und danach auf allgemeines Tohuwabohu. Die Sorge gilt dabei nicht nur den C-Waffen, sondern auch modernen Flugabwehrwaffen und Boden-Boden-Raketen. Die syrischen Massenvernichtungswaffen stellten angesichts der chaotischen Zustände „ein sehr bedrohliches Potenzial für den Staat Israel“ dar, sagte der General Jossi Peled vom regierenden Likud. „Wir werden keinesfalls zulassen, dass Massenvernichtungsmittel in die falschen Hände fallen. Darüber hinaus muss nichts weiter gesagt werden.“