Analyse: Treuloser Diener stiehlt aus „Liebe zur Kirche“
Rom (dpa) - Der graue Anzug sitzt perfekt, er ist etwas dunkler als an den bisherigen Prozesstagen. Paolo Gabriele hört den Urteilsspruch mit unbewegter Miene: eineinhalb Jahre Haft. Der ehemalige päpstliche Kammerdiener hat seiner Kirche eine schlimme Affäre beschert.
Monatelang hielten die „Vatileaks“-Enthüllungen den Kirchenstaat in Atem - losgetreten durch vertrauliche Papiere, die Gabriele kopiert und weitergegeben hatte. Nun verurteilt ihn das vatikanische Gericht wegen Diebstahls.
„Ich fühle mich nicht als Dieb“, sagt der streng gläubige Familienvater in seinem Schlusswort. „Das, was ich stark in mir fühle, ist die Überzeugung, dass ich aus tiefer, ich würde sagen: hingebungsvoller Liebe zur Kirche von Jesus Christus und zu ihrem Oberhaupt gehandelt habe.“
Das Tribunal unter Vorsitz von Präsident Giuseppe Dalla Torre billigt Gabriele denn auch mildernde Umstände zu - andernfalls wäre die Strafe doppelt so hoch ausgefallen. Er sei nicht vorbestraft und habe aus persönlicher Überzeugung gehandelt, sagt Dalla Torre. Wenngleich diese verfehlt gewesen sei. Auch sei sich Gabriele bewusst, das Vertrauen des Papstes missbraucht zu haben.
Benedikt XVI. wird wohl dennoch Gnade walten lassen. Eine Begnadigung sei eine „sehr wahrscheinliche Möglichkeit“, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi, der nochmals die Unabhängigkeit des mit drei italienischen Juristen besetzten Tribunals hervorhob.
Die Richter brachten das Verfahren in dem gelben Justizgebäude hinter der Peterskirche an nur vier Prozesstagen zu Ende, rechtzeitig vor Beginn einer Bischofssynode und vor dem Start des „Jahres des Glaubens“ zum 50. Jahrestag des Zweiten Vatikanischen Konzils.
In der Affäre waren immer wieder brisante Informationen an die Medien durchgesickert. Es ging um Korruptionsverdacht, um undurchsichtige Geschäfte der wiederholt in Verruf geratenen Vatikanbank, um ein angebliches Mordkomplott gegen den Papst.
Viele der Dokumente sind in dem Enthüllungsbuch „Sua Santità“ (Seine Heiligkeit) des Journalisten Gianluigi Nuzzi veröffentlicht. Einer der Namen, die in den Papieren immer wieder auftauchen, ist der des umstrittenen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone. In den Medien wurde deshalb über Machtkämpfe im Vatikan spekuliert - und angezweifelt, ob Gabriele, dem eine eher einfache Intelligenz bescheinigt wird, alleine handelte.
Staatsanwalt Nicola Picardi, der drei Jahre Haft verlangt hatte, schilderte Gabriele als leicht beeinflussbaren Menschen. Das bedeute aber keineswegs, dass er Mittäter gehabt habe, betont er. „Von den Ermittlungen her gibt es keinerlei Hinweise auf irgendeine Komplizen- oder Mittäterschaft“, zitiert die Nachrichtenagentur Ansa Picardi. Gabriele habe sich in Vernehmungen als einzige Quelle bezeichnet. Vor seiner Festnahme hatte Gabriele in einem anonym geführten Interview mit Nuzzi gesagt, es gebe im Vatikan etwa 20 Gleichgesinnte.
Fragen bleiben. Die Beamten trugen bei der Durchsuchung von Gabrieles Wohnung keine Handschuhe. Sie fanden neben Unmengen Papier einen Scheck für den Papst über 100 000 Euro, ein wertvolles Buch und einen Goldklumpen. Bis zuletzt war nicht klar, ob er tatsächlich aus Gold war. Jedenfalls wurden an dem Stück keine Fingerabdrücke untersucht, weil es durch mehrere Hände ging. Es sei nicht einmal klar, ob Gabriele den Klumpen je angefasst habe, argumentierte seine Anwältin Cristina Arru. Auch wo die Sachen genau gefunden wurden, blieb unklar - ein Gendarm hatte von einem Schuhkarton gesprochen.
Vorwürfe wie Geheimnisverrat, die eine tiefere inhaltliche Prüfung verlangt hätten, wurden nicht verfolgt. Der Papst hat zur internen Aufarbeitung von „Vatileaks“ eine Kardinalskommission eingesetzt - doch deren Erkenntnisse dürften wohl kaum öffentlich werden.
Erst einmal darf Gabriele zu seiner Frau und den drei Kindern. Er steht unter Hausarrest, bis entschieden ist, ob das Urteil rechtskräftig wird. Bleibt es dabei, muss er ins Gefängnis - in ein italienisches, denn der Vatikan ist nicht auf dauerhafte Häftlinge eingestellt. Begnadigt ihn Benedikt, könnte er eine einfache Aufgabe innerhalb der Vatikanmauern bekommen. Oder er müsste den Kirchenstaat verlassen.
Das ist nicht ganz ausgeschlossen, zumal er sich im Prozess mit Klagen über die Haftbedingungen bei einigen nicht gerade beliebt gemacht hat. Außerhalb des Vatikans allerdings dürften sich die Medien auf ihn stürzen. Auftritte in Talkshows oder Interviews über sein Leben in nächster Nähe des Papstes wiederum dürften nicht im Sinne des Vatikan sein.