Analyse: Tsipras vor neuen Kraftproben
Athen (dpa) — Eine gute und mehrere schlechte Nachrichten für den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras:
Das griechische Parlament gab ihm nach einer langen Nacht und einer hitzigen Debatte am Morgen mit einer deutlichen Mehrheit von 230 Stimmen im Parlament mit 300 Sitzen den Auftrag das Land weiter zu regieren, die Verhandlungen mit den Gläubigern fortzusetzen und es aus der Krise zu führen.
Fragt sich nur, mit welcher Mehrheit? Denn die innerparteiliche Opposition von Tsipras' Partei Syriza hat sich zum zweiten Mal klar bemerkbar gemacht. Es handelt sich um eine starke Gruppe von Abgeordneten des linken Flügels der Syriza. Diese verweigerten Tsipras am Donnerstag die Gefolgschaft. 31 von ihnen stimmten zum zweiten mal binnen weniger Tage gegen das Reformprogramm der Gläubiger. Fünf enthielten sich der Stimme. „Der Spalt ist klar sichtbar“, sagte Regierungssprecherin Olga Gerovasili nach dem Votum. Das Reformprogramm konnte am Donnerstag nur mit den Stimmen der konservativen, sozialistischen und liberalen Opposition vom Parlament gebilligt werden. Die Regierungsmehrheit ging erneut verloren.
Schwacher Trost für Tsipras: Diesmal waren es drei Abweichler weniger als bei der Abstimmung zur Billigung von Sparmaßnahmen in der vergangenen Woche. Unter ihnen war auch Ex-Finanzminister Gianis Varoufakis, der vergangene Woche noch mit „Nein“ und am Donnerstag dann mit „Ja“ stimmte. Er wolle Tsipras in diesen schwierigen Zeiten helfen, obwohl er nicht an einer Erfolg des aktuellen Spar- und Reformprogramms glaube, sagte er griechischen Medien.
Die Athener Zeitung „Ta Nea“ nennt die Abweichler „Drachmisten“. Es sei der linke Flügel der Syriza-Partei, die mit dem Austritt aus der Eurozone und der Rückkehr zur alten Währung Drachme liebäugele. Tsipras hat während der Debatte erneut klargestellt: Zunächst werde er sich um eine Einigung mit den Gläubigern kümmern und eine solide Basis für Griechenlands Zukunft schaffen. Erst danach werde das innerparteiliche Problem angegangen, auch wenn er vorläufig eine von der Opposition nur geduldete Minderheitsregierung führen muss. Die „Bastion“ der linken Regierung werde er „nicht freiwillig“ räumen, bekräftigte Tsipras.
Der Innerparteiliche Kampf wird für Tsipras nicht leicht sein. Der Anführer des Linksflügels, Panagiotis Lafazanis, taktiert geschickt. Meinungsverschiedenheiten stärken die Partei, sagte er nach dem Votum und der erneuten Rebellion seiner Gruppe. Er bleibe in der Partei, obwohl er das Reform- und Sparprogramm nicht mittrage. Die Abweichler nehmen für sich in Anspruch, sie seien diejenigen, die den Zielen der Partei treu blieben. Tsipras hingegen habe die Grundpositionen der Partei aufgegeben und ein volksfeindliches Sparprogramm akzeptiert, betonen sie bei jeder Gelegenheit.
Lafazanis, ein früherer Kommunist, ist sich der Stärke seiner innerparteilichen Position bewusst. In der Bevölkerung genießt Tsipras zwar große Popularität. In den Parteigremien sind die Linken aber sehr stark vertreten. Die Zusammensetzung der Gremien stammt nämlich noch aus den Zeiten, als das Bündnis der radikalen Linken eine Kleinpartei mit sieben Prozent war. Die pro-europäischen Wählermassen, die Tipras im Januar mit gut 36 Prozent den Wahlsieg bescherten, sind noch nicht in den Parteigremien vertreten.
Insider jetzt zwei Möglichkeiten für Tsipras: Entweder vorgezogene Wahlen im Herbst anzusetzen oder aber einen Sonderparteitag einzuberufen. Ob es zur Spaltung davor oder danach kommt, kann bisher niemand sicher sagen. Die Boulevardzeitung „Ethnos“ kommentierte am Donnerstag, die „Plattform einer Scheidung“ (der beiden Syriza-Komponenten) sei bereits geschaffen. Die Opposition beobachtet die Entwicklungen in Tsipras' Partei mit Argusaugen und bleibt in Alarmbereitschaft. „Auch für Wahlen“, sagte ein gut informierter Funktionär der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND).