Analyse: Türkischer Putschversuch schlägt Wellen in der Ägäis
Athen/Istanbul (dpa) - Sie könnten der zündende Funke sein, der einen alten Konflikt neu entfacht: Die acht türkischen Soldaten, die sich am vergangenen Samstag während des gescheiterten Militärputsches in der Türkei mit einem Hubschrauber nach Griechenland absetzten und dort politisches Asyl beantragten.
Die Türkei forderte umgehend die sofortige Auslieferung der mutmaßlichen Putschisten. Griechenland pocht auf die Anwendung internationalen Rechts und die ordnungsgemäße Bearbeitung der Anträge. Die ersten Muskelspiele haben bereits begonnen.
Handelt es sich um einen Übersetzungsfehler oder hat man einander absichtlich missverstanden? In einem Telefonat am Sonntag habe der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zugesagt, die geflohenen Militärs innerhalb von 15 Tagen auszuliefern, verkündete der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Wenig später schaffte auch der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim Fakten: Tsipras habe ihm gesagt, die Auslieferung der Männer sei eingeleitet.
Kopfschütteln bei den Griechen. Egal was man von Tsipras hält, aber dass er einen Zeitraum oder gar die eigentliche Auslieferung fest zugesagt hätte, glaubt nicht einmal die Opposition. Vielmehr war die Athener Haltung zu den brisanten Asylsuchenden von Beginn an klar und wird seither von allen Politikern mantraartig wiederholt: Man werde sich in dieser Sache an geltendes internationales Recht halten, wie jeder andere europäische Staat auch.
„Wir können uns nur politisch äußern“, sagt der griechische Vize-Verteidigungsminister Dimitris Vitsas. Im Klartext: Der Wille, die acht Männer und damit das Problem so schnell wie möglich loszuwerden, ist da. Das werden jedoch die Gerichte entscheiden - und die sind weisungsunabhängig. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass griechische Asylrichter trotz des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei immer wieder Asylanträge von Flüchtlingen genehmigen, anstatt die Menschen, wie politisch vereinbart, in die Türkei abzuschieben.
Hinzu kommt der Zeitfaktor. Das Verfahren könnte gut und gerne länger als ein Jahr dauern, schätzt Jurist Makis Voridis, der für die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) im griechischen Parlament sitzt. Nach einer ersten und zweiten Instanz, die zusammen mindestens zwei Wochen in Anspruch nehmen, stünde den acht Soldaten der Weg durch sämtliche griechische Gerichte offen, bis hin zum Aeropag, dem obersten griechischen Gerichtshof.
Und selbst wenn die türkische Regierung diesen Zeitfaktor akzeptiert, ist die wichtigste Frage noch nicht beantwortet: Was passiert, wenn ein griechisches Gericht den Männern direkt Asyl gewährt? Beispielsweise, weil die Türkei die Todesstrafe wieder einführt?
Dieses Szenario wäre das schlimmste, heißt es hinter vorgehaltener Hand, sowohl bei Regierung und Opposition als auch bei Athener Diplomaten. Kaum vorstellbar, dass der türkische Staatspräsident es hinnehmen würde, wenn mutmaßliche Putschisten in Griechenland Asyl bekommen und sich dort frei bewegen. Stattdessen, so die Angst in Athen, könnte Erdogan auf dieser Basis das altbekannte Feindbild Griechenland wiederbeleben, um sein zerrissenes Volk zu einen.