Analyse: USA schwächelt - Deutschland merkt es kaum

Berlin (dpa) - Tiefschwarze Szenarien wurden entworfen: Zum Beispiel, dass eine Zahlungsunfähigkeit der USA die ganze Welt in eine neue Rezession stürzen könnte. Doch auch die Einigung birgt Gefahren - etwa, dass die schwächelnde US-Wirtschaft zum falschen Zeitpunkt abgewürgt wird.

„Wenn die US-Wirtschaft hustet, bekommen Europa und Deutschland eine Lungenentzündung“ - diese Faustformel galt über Jahrzehnte. Deshalb wurde das innenpolitische Gezerre in den USA um das Ausmaß der Staatsschulden weltweit mit Spannung beobachtet. Die Sorge: Jedes größere amerikanische Problem könnte quasi automatisch zu einem Problem für die Weltwirtschaft werden. Einige Ökonomen verglichen die Schuldenkrise in Washington gar mit der Lehman-Pleite, die im Herbst 2008 eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise auslöste. dpa beantwortet wichtige Fragen dazu.

In welcher Verfassung ist die amerikanische Konjunktur?

Um im Bild zu bleiben: Die US-Wirtschaft hustet schon seit Jahren. Schon vor der Rezession 2009 wies Amerikas Volkswirtschaft relativ geringe Wachstumsraten auf: 2,7 Prozent 2006, 1,9 Prozent 2007 - und dann Stagnation 2008. Nach dem Einbruch 2009 hielt sich das Wachstumstempo ebenfalls in Grenzen, und das, obwohl die Regierung von Präsident Barack Obama sowie die Notenbank Fed Milliarden und Abermilliarden an frischem Geld in den Kreislauf pumpten, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Bislang einziges Ergebnis: Ein wachsender Schuldenberg und steigende Inflation. Aktuelles Symptom der US-Flaute: Die Arbeitslosigkeit liegt über 9 Prozent, und der private Konsum - mit 70 Prozent der Motor der US-Wirtschaft - kommt nicht Gang.

Hat das Folgen für Europa und Deutschland?

Aktuell keine - im Gegenteil: In Deutschland läuft, mit Wachstumsraten über 3 Prozent 2010 und 2011, ein stabiler Aufschwung. Damit hat die größte europäische Volkswirtschaft die Amerikaner in puncto Konjunktur überholt. Ökonomen, wie der frühere Chefvolkswirt der Hypovereinsbank, Martin Hüfner, sprechen bereits von einer Abkopplung. Zwar läuft es in anderen Ländern des Euroraums nicht so gut wie in Deutschland. Das liegt aber an hausgemachten Problemen: Vor allem den südeuropäischen Ländern fehlt die Wirtschaftskraft, sich dauerhaft aus der Rezession herauszuarbeiten. Auch die Euro-Schuldenkrise lastet schwer.

Wie wichtig sind die USA für die Weltwirtschaft?

Die USA sind immer noch die Wirtschaftsmacht Nummer 1 in der Welt. Aber ihre relative Bedeutung nimmt ab. Mitte der 80er Jahre und dann noch einmal zu Beginn des neuen Jahrtausends hatten die USA noch einen Anteil von rund einem Drittel an der weltweiten Wirtschaftsleistung. Der ist inzwischen auf rund 23 Prozent gesunken - Tendenz: Weiter abnehmend. Nach den Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) dürfte der Anteil im Jahr 2016 nur noch bei etwas mehr als 20 Prozent liegen. Auf längere Sicht dürften sich die Gewichte noch dramatischer verschieben: China gilt auf längere Sicht als neue Nummer eins in der Weltwirtschaft; auch Indien und andere asiatische Volkswirtschaften wie Malaysia und Indonesien gewinnen an Gewicht.

Und wie sieht das aus deutscher Sicht aus?

Auch da zeichnet sich deutlich eine sinkende Bedeutung der US-Wirtschaft ab. In den sechziger und siebziger Jahren gingen noch bis zu 14 Prozent der deutschen Ausfuhren in die USA. Der Anteil hat sich inzwischen glatt halbiert. Deswegen ist auch der Dollarkurs für Deutschland längst nicht mehr so wichtig wie früher. Von den gesamten deutschen Exporten von 959,5 Milliarden Euro 2010 entfielen nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 65,6 Milliarden auf die Vereinigten Staaten, das sind 6,8 Prozent. Als Abnehmer viel wichtiger ist unser europäischer Nachbar Frankreich (9,5 Prozent). Am stärksten nach vorn kam in den vergangenen Jahren China (5,6 Prozent), dessen Anteil an den deutschen Ausfuhren sich innerhalb von 15 Jahren mehr als verdoppelt hat. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis China die USA in der Rangliste der wichtigsten Exportkunden überholt.

Was unterscheidet die Schuldenkrise in Griechenland und in den USA?

Ganz klar die Größe und die Leistungsfähigkeit von Staat und Ökonomie in den Vereinigten Staaten. „Anders als Griechenland stehen die Amerikaner nicht vor der Pleite“, urteilt Hüfner, der heute das Wirtschaftsgeschehen für einen Münchner Vermögensverwalter kommentiert. Selbst wenn sich Obama und die Republikaner nicht geeinigt hätten, wären die USA nicht wirklich bankrott gewesen. Sie hätten nur keine Kredite mehr aufnehmen dürfen. Der Ökonom erinnert an 1995, als Präsident Bill Clinton in einer ähnlichen Situation für mehrere Wochen Staatsbeschäftigte in Zwangsurlaub schicken musste, die Schulden aber weiter bedient wurden.

Welche Folgen hätte das für die Wirtschaft gehabt?

„Für die jeweils Betroffenen waren das schwierige Zeiten. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten hielten sich jedoch in Grenzen“, so Hüfner. Natürlich sei die hohe Staatsverschuldung der Amerikaner aber ein großes Problem. Genau deswegen sieht Commerzbank-Volkswirt Ulrich Leuchtmann in der Einigung von Washington auch kein „happy end“: Angesichts „desaströser“ Konjunkturwerte sieht er nur die Wahl zwischen zwei Übeln: „Ausufernde Defizite, die unweigerlich ins fiskalische Desaster führen, und ein Abwürgen der Konjunktur (...) gerade in dem Moment, in dem die schwächelnde US-Wirtschaft fiskalischen Anschub braucht.“