Analyse: USA stoßen an die Grenzen ihrer Macht
Washington (dpa) - Selten in der jüngeren Vergangenheit sind die USA derart brüskiert worden - und das in aller Öffentlichkeit. Ausgerechnet China und Russland haben die Supermacht im Fall des Geheimdienst-Enthüllers Edward Snowden an der Nase herumgeführt - samt Schützenhilfe aus Hongkong und dem mutmaßlichen Asylland Ecuador.
Wut, Frust und Fassungslosigkeit herrschen in Washington. Vor allem aber ein Gefühl von Hilfslosigkeit, das man in der „Hauptstadt der Welt“ seit Jahren nicht mehr gespürt hat. Wie konnte das passieren, warum ist die Sache nur so verdammt schiefgelaufen? Nur eines ist in Washington so gut wie nicht zu entdecken: Selbstkritik.
Die Wellen der Empörung schlagen hoch. „Ich hoffe, wir werden ihn bis ans Ende der Welt verfolgen“, schäumt der republikanische Senator Lindsey Graham. Auch sein demokratischer Kollege Chuck Schumer ist in Wallung: „Was wirklich ärgerlich ist“, meint Schumer, „ist, dass Wladimir Putin bei Snowdens Flucht Beihilfe leistet“. Man habe den Eindruck, als wolle Putin den USA geradezu „Knüppel zwischen die Beine werfen“. Und dann droht der Senator in kalter Wut: „Das wird ernste Konsequenzen haben.“
Nur: Niemand in Washington vermag zu sagen, womit die USA Russland oder China schrecken könnten. Die Beziehungen zu beiden Ländern sind derzeit ohnehin - gelinde gesagt - unterkühlt. Ganz offenbar hat auch Obamas jüngste Charmeoffensive beim neuen chinesischen Präsidenten Xi Jinping keine durchschlagende Wirkung gehabt. Als „größten Schurken unserer Zeit“ prangerte Chinas Staatsagentur Xinhua die USA an - das sind Töne, die man so lange nicht mehr gehört hat.
Tatsächlich haben die USA hoch gepokert - und sind jetzt erwischt worden: Seit Jahren prangert Washington lautstark chinesische Hackerangriffe und Industriespionage in den USA an. Und nun bringt es Snowden an den Tag, dass die USA die chinesische Universität von Hongkong angezapft haben. Dies sind peinliche Enthüllungen - die in der öffentlichen Diskussion in den USA allerdings eher unter den Teppich gekehrt werden.
Überhaupt: Amerikanische Medien scheren sich derzeit eher weniger um das weltweite Datensammeln durch den Geheimdienst NSA - oder um Irritationen und Kritik, die das auslöst, etwa auch in Deutschland. Längst ist aus dem Thema der „Fall Snowden“ geworden.
Selbstkritik angesichts des befremdenden Ausmaßes der Überwachung ist in Washington derzeit eine Rarität. Für US-Politiker ist Snowden ein Verräter, basta. Und statt kritische Fragen zu stellen, zeichnen US-Kommentatoren lieber die möglichen Fluchtwege Snwodens auf - will er nun letztlich nach Ecuador, Venezuela oder Kuba?
Peinlich sind auch die Nachrichten, mit denen die „New York Times“ an diesem Montag aufwartet: Demnach hätten die USA erst am Samstag Snowdens Pass annulliert - möglicherweise schon zu spät. Auch Interpol sei von den US-Behörden nicht informiert worden.
Jetzt ruft die Regierung laut CNN händeringend alle möglichen Asylländer auf, Snowden keinen Unterschlupf zu gewähren. Doch die Chancen, dass sich Länder wie Ecuador, Venezuela oder Kuba dies zu Herzen nehmen, sind minimal.
Bezeichnend für die schwierige Situation, in die die USA geraten sind, ist auch ein Hinweis der „New York Times“: Obama habe bisher noch keinen einzigen politischen Führer im Ausland persönlich kontaktiert und um Hilfe gebeten. Er habe sich lediglich von seinen Sicherheitsberatern über den Stand der Dinge informieren lassen.