Analyse: Vielen Flüssen fehlt der Platz
Frankfurt/Main (dpa) - Seit Urzeiten siedeln Menschen an Flüssen. Und schon immer war das Wasser nicht nur Lebensquell und Verkehrsweg, sondern auch Gefahr. Trotz aller Technik des 21. Jahrhunderts entstehen immer wieder enorme Schäden.
Umweltschützer sind überzeugt: Die Flüsse nehmen sich gewaltsam die Freiheit, die ihnen beim Zubetonieren der Ufer genommen wurde. Und nach allen Prognosen der Klimaforscher könnte das künftig häufiger vorkommen.
Wenn, wie jetzt, an einigen Orten innerhalb kürzester Zeit so viel Regen fällt wie sonst in mehreren Wochen, schwellen kleinste Bäche an, treffen in den Flüssen zusammen und wachsen sich zu Flutwellen aus. Eingezwängt zwischen hohen Deichen wie in einem Korsett rauschen die Wassermassen durch, nehmen Tempo auf, und weiter flussabwärts werden die Auswirkungen immer schlimmer. „Technischer Hochwasserschutz verstärkt die Gefahr“, sagt Georg Rast, Experte der Umweltstiftung WWF.
Immer höhere Barrieren gegen das Wasser seien überhaupt nur zu rechtfertigen, wenn es gleichzeitig mehr Überflutungsflächen gebe. Dafür sei aber noch viel zu wenig geschehen. Rast fordert ein Grundgerüst an Überflutungsflächen: „So lange wir das nicht haben, werden wir keine ruhigen Zeiten haben.“
Die Bereitschaft der Kommunen, Flächen entlang der Flüsse zu sichern, sei aber gering. „Egoismen auf lokaler Ebene sind immer noch da“, kritisiert Rast. Der Bund müsse Druck machen, denn er zahle das Geld. Millionenhilfen zum Wiederaufbau, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sie beim Besuch in den Hochwassergebieten zusagte, müssten an Bedingungen geknüpft werden.
In den Überschwemmungsflächen dürfe nicht gebaut werden. Landwirte müssten mit komplettem Ausfall der Ernte rechnen wie in diesem Jahr bei Ingelheim in Rheinland-Pfalz, wo am Dienstag ein 160 Hektar großer Polder am Rhein geflutet wurde, das zweite Mal seit seiner Fertigstellung 2006.
In diesen Polder können nach Angaben der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd (SGD) bis zu 4,5 Millionen Kubikmeter Rheinwasser fließen. Das von Deichen begrenzte Gebiet sei wie eine Riesenpfütze, sagte ein Sprecher. Durch die geöffneten Einlaufklappen werde das Wasser von selbst wieder hinausfließen, wenn das Rheinwasser wieder sinke.
Ziel sei es, das enge Mittelrheintal vor zu großen Wassermassen zu schützen. Gut zehn solcher Polder seien in Rheinland-Pfalz entlang des Rheins geplant. In Hessen waren nach Angaben des Landesamts für Umwelt und Geologie 2007 erst weniger als zehn Prozent der potenziellen Überflutungsflächen verbindlich festgelegt.
Dass der Klimawandel häufiger und mehr Regen fallen lässt als bisher gewohnt, lässt sich nach einhelliger Aussage von Experten derzeit noch nicht statistisch nachweisen. Aber die Klimaforscher erwarten in der Zukunft mehr sogenannte punktuelle Starkregenfälle.
Es sei zu befürchten, dass Unwetterlagen zunähmen, sagt Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Zwar sei die jährliche Niederschlagsmenge in den vergangenen 100 Jahren nur unwesentlich gestiegen, das sage aber wenig über Extreme - „und die nehmen langsam aber sicher zu.“
Die spezielle Wetterlage der vergangenen Wochen, als ein Tiefdruckgebiet wie festgenagelt über Mitteleuropa gelegen habe, trete spürbar häufiger auf. Nicht immer halte sich so ein Tief derart lange, und nicht jedesmal bringe es so viel Niederschlag.