Analyse: Was macht das Militär?
Istanbul/Kairo (dpa) - Für Ägyptens islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi läuft die Zeit ab - zumindest im Internet. Nachdem das Militär den Konfliktparteien ein 48-Stunden-Ultimatum gestellt hat, veröffentlichten Aktivisten den „Mursi-Timer“, der jede Sekunde der angeblich noch verbleibenden Amtszeit zählt.
„Der erste gewählte Militärputsch“, steht darüber geschrieben. Ägypten steht knapp zweieinhalb Jahre nach dem Sturz des Regimes von Langzeitpräsident Husni Mubarak vor einem neuen Umbruch. Wohin es geht, weiß niemand. Doch die Zeichen stehen auf Konfrontation.
Die Muslimbruderschaft - aus deren Reihen der erste frei gewählte Staatschef stammt - mobilisieren ihre Anhänger auf den Straßen, um die „legitime“ Führung des Landes zu verteidigen. Auch die Opposition demonstriert seit Sonntag zu Hunderttausenden. Und alle warten darauf, wie sich das Militär am Ende der Frist - am Mittwochnachmittag - verhalten wird.
Das Militär ist in Ägypten ein Staat im Staate. Die Armee hat eine eigene Gerichtsbarkeit und ein eigenes Wirtschaftsimperium mit Unternehmen, die sogar Fernseher und Staubsauger produzieren. Die USA pumpen jährlich umgerechnet rund eine Milliarde Euro in die Kassen der größten Streitmacht der Region. Ohne das Militär läuft am Nil nichts, wissen auch die Verbündeten des bevölkerungsreichsten arabischen Landes. Nur deshalb kann ein Verteidigungsminister seinem Präsidenten sagen, wo es lang geht.
Schon im Arabischen Frühling 2011 übernahm die Armee die Macht von Langzeitpräsident Husni Mubarak. Sie behielt sie bis zum Amtsantritt Mursis am 30. Juni 2012. In diesen knapp eineinhalb Jahren erlebte Ägypten auch zahlreiche Massenproteste gegen die Generäle, die über ihren Rückzug aus der Politik nicht ganz unglücklich gewesen sein dürften. Jetzt droht wieder die Entmachtung Mursis durch das Militär - paradoxerweise freuen sich viele Ägypter darüber.
Zwar betont die Armeeführung, sie wolle nicht wieder in die Politik, sondern lediglich einen Fahrplan zur Lösung der Krise umsetzen. Doch die Muslimbrüder sind auf der Hut. Die Bewegung und ihre Verbündeten kündigen ihren Widerstand an und drohen, das Land werde im Chaos versinken. Beobachter ziehen schon Vergleiche zur Situation vor mehr als 20 Jahren in Algerien, wo Islamisten vom Militär entmachtet wurden und daraufhin ein brutaler Bürgerkrieg ausbrach.
Ägypten ist zweieinhalb Jahre nach dem Arabischen Frühling in einer Situation, die leicht eskalieren kann. Das Land ist zutiefst gespalten, die Wirtschaftslage katastrophal und wird angesichts der andauernden Unruhen immer noch schlimmer. Die Muslimbruderschaft ist - neben Militär und Polizei - nach wie vor die am besten organisierte Kraft im Land und hat auch viele militante Anhänger. Aus Libyen sind nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi viele Waffen an den Nil gelangt.
„Warum Ägypten nicht Algerien ist“, schreibt indes der Geschichtsprofessor Chalid Fahmi von der Amerikanischen Universität in der Onlineplattform „Mada“: Mursi habe im Gegensatz zu den algerischen Islamisten die Chance gehabt, sich zu bewähren. Er sei jedoch gescheitert. Dass die Muslimbruderschaft sich dem bewaffneten Kampf verschreibt, glaubt Fahmi nicht. Dies hätten Islamisten in Ägypten bereits in den 90er Jahren versucht. Anschläge und Übergriffe blieben jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Das System wurde erst Jahrzehnte später gestürzt. Mit Massendemonstrationen.