Analyse: Weil holt Wechsel für Rot-Grün
Hannover (dpa) - Am Ende hat Stephan Weil es also doch noch geschafft: Nach zehn Jahren Schwarz-Gelb wird Niedersachsen wohl wieder von einem SPD-Ministerpräsidenten geführt. 32,6 Prozent haben die Sozialdemokraten laut vorläufigem Endergebnis erlangt, sind zweitstärkste Kraft im Land.
Ohne die Grünen wäre der Erfolg nicht möglich gewesen: Mit 13,7 Prozent fährt der Landesverband das beste Ergebnis seiner Geschichte ein. Aber Rot-Grün weiß genau: Ein einziger Sitz trennt sie vom Oppositionslager Schwarz-Gelb. Und noch etwas ist neu: Nach fünf Jahren verpasst die Linke den Wiedereinzug und auch der Höhenflug der Piraten findet ein jähes Ende.
„Das war heute eine Achterbahn der Gefühle“, sagt ein vom langen Wahlabend sichtlich mitgenommener Weil auf der SPD-Wahlparty im Alten Rathaus von Hannover und fügt hinzu: „Jetzt sind wir auf dem Höhepunkt.“ Weil hat gut lachen und kann seinen Triumph gegen den bisherigen CDU-Amtsinhaber David McAllister noch gar nicht fassen. „Ich glaube, ich werde nachher zu Hause auf dem Sofa sitzen und versuchen, das alles zu begreifen.“ Nur soviel weiß er: In der Früh gehe sein Zug nach Berlin und er freue sich auf fünf Jahre Rot-Grün.
Mit dem Sieg in Hannover ist der 54-jährige Jurist aber nicht nur auf seiner eigenen Karriereleiter gleich mindestens fünf Stufen höher geklettert. Vom Kämmerer der Landeshauptstadt Hannover zum dortigen Bürgermeister - und nun vielleicht bald Ministerpräsident. „Das ist ein guter Sonntag für Niedersachsen“, freut er sich und fügt hinzu: „Spannend wird es auf jeden Fall, eine neue Regierung zu etablieren.“
Doch auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kann sich nach seinen zahlreichen Kapriolen - etwa um das Kanzlergehalt oder hoch dotierte Honorare für Vorträge - endlich wieder über positive Nachrichten und damit über Rückenwind für die Bundestagswahl im Herbst freuen. Ihm dürfte - genau wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aber noch etwa klar sein: die politischen Lager in Deutschland liegen Kopf-an-Kopf.
Im Land dürfte sich nun einiges ändern. In der ersten Sitzung im Februar werden nicht nur CDU und FDP nach zehn Jahren wieder auf die ungeliebten Oppositionsbänke umziehen müssen. Auch Studiengebühren sollen bald der Vergangenheit angehören, frühestens jedoch wohl erst 2014/2015 und Gesamtschulen sollen einfacher gegründet werden, sagen SPD und Grüne. Auch in Sachen Atommüll könnte eine von Weil geführte Regierung die Karten neu mischen - dies würde dann auch den Bund mitsamt Wahl betreffen. Mit ihm werde es kein Atommüllendlager in Gorleben geben, hat Weil vor der Wahl betont.
SPD und Grüne in Niedersachsen dürften sich in den kommenden Tagen schnell auf einen Koalitionsvertrag einigen. Das Gesprächsangebot von McAllister, notfalls auch mit der SPD über eine Regierung sprechen zu wollen, wird wohl ungehört in Hannover verklingen. Denn SPD und Grüne haben den Wechsel immer als höchstes Wahlziel ausgemacht.
Zudem hat Weil schon im Vorwahlkampf seine Wunschministerriege vorgestellt, und sogar Grünen-Spitzenkandidat Stefan Wenzel meldete bereits Interesse am Posten des Umweltministers an. Angesichts des guten Grünen-Ergebnis ist davon auszugehen, dass mindestens drei Ministerien in grüne Hände fallen werden.
Und Schwarz-Gelb? Die späte Niederlage in Niedersachsen tut CDU und FDP weh. Den Freidemokraten, weil sie mit ihren 9,9 Prozent ein Spitzenergebnis im Heimatland von Parteichef Philipp Rösler aufs politische Parkett zaubert. Der große Verlierer aber heißt David McAllister. Zwar ist er der beliebteste Politiker des Landes, zwar ist er Chef der stärksten Partei, die versteckte Leihstimmenkampagne hat am Ende aber nicht gereicht. Ob er nun als Oppositionschef den Niedersachsen treubleibt, ist offen. Auch in der CDU rechnen viele damit, dass er den Rufen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) folgen wird. Denn auch diese weiß: Trotz der Niederlage ist McAllister eines der größten Talente in der CDU.