Analyse: Wie sich Bahn und GDL verhakt haben

Berlin (dpa) - Von außen ist das schwer zu verstehen. Da sprechen die beiden Verhandlungsführer von ein und demselben Dokument und sind doch weit davon entfernt, darin den gleichen Inhalt zu erkennen.

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Der Tarifkonflikt bei der Bahn ist mal wieder an einem toten Punkt angekommen.

Deshalb wird ein weiteres Mal gestreikt. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat zum siebten Ausstand seit Anfang September aufgerufen - mit entsprechenden Folgen im bundesweiten Zugverkehr.

Was Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber als Zwischenergebnis der Tarifrunde bezeichnet, hält die GDL für unannehmbar. „Da denkst du, du sitzt im falschen Film“, entrüstet sich der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky gespielt oder tatsächlich. Klar ist das nicht. Weber wiederum zeigt sich verwundert darüber, dass Weselsky an diesem Punkt der Diskussion ausgestiegen ist: „Wir waren einen Meter vor der Ziellinie.“

Noch kurioser: Die Bahn beklagt sich darüber, die GDL habe sich bisher nur auf Fragen der Tarifstruktur beschränkt. Zuvor hatte die GDL der Bahn mehrmals vorgeworfen, diese verzögere eine Lösung dadurch, dass sie immer nur über die Strukturen reden wolle, nicht aber über Geld und Arbeitszeit.

In den vergangenen Wochen haben sich die beiden Tarifparteien an dem künftigen Tarifgefüge abgearbeitet, welches nach dem Wunsch der GDL gegliedert sein soll in einen Flächen- und einen Haustarifvertrag. Im Flächentarifvertrag sind unter anderem Entgelt, Arbeitszeit und Urlaub geregelt. Die GDL versucht, die Regelungen dieses Vertrags für ihre Mitglieder auch bei anderen Eisenbahnunternehmen durchzusetzen.

In den Tarifrunden ging es erst um die Integration von Zugbegleitern und Bordgastronomen in ein künftiges GDL-Tarifwerk. Ein Streik wurde dabei gerade noch abgewendet. Zuletzt verhakte man sich an der Berufsgruppe der Lokrangierführer. Sie werden nach einem anderen Entgeltsystem als die Lokführer bezahlt, einem System, das mit der konkurrierenden, größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vereinbart wurde. Die weist vorsorglich darauf hin, dass eine deutliche Mehrheit der Lokrangierführer bei ihr Mitglied sei - und nicht bei der GDL.

Die GDL will die 3100 Lokrangierführer, die Züge auf dem Gleisvorfeld zusammenstellen und dort auch kürzere Strecken mit Loks fahren, im Tarifvertrag am liebsten den 20 000 Lokführern zuschlagen. Der Vorwurf an die Bahn lautet, sie wolle die Lokrangierführer zum „billigen Jakob“ machen.

Dem widerspricht der bundeseigene Konzern vehement. Berücksichtige man Zuschläge und Sonderzahlungen, seien beide Berufsgruppen ungefähr auf dem gleichen Lohnniveau, heißt es bei der Bahn, auch wenn Unterschiede etwa bei der Staffelung nach Berufsjahren gebe.

Steckt also etwas anderes hinter Verhandlungsabbruch und Streik? Die These von EVG-Chef Alexander Kirchner lautet: Die GDL braucht einen Grund, um vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Tarifeinheitsgesetz klagen zu können, das sie als kleine Spartengewerkschaft schwächen dürfte. Einigt sie sich aber mit der Bahn auf Tarifregeln, die inhaltsgleich auch die EVG unterschreibt, hätte sie keine Handhabe mehr.

Umgekehrt äußert die GDL den Verdacht, die Bahn wolle taktieren und so lange Zeit gewinnen, bis das Tarifeinheitsgesetz im Sommer in Kraft ist. Sie könnte dann leichter mit der EVG Abschlüsse erzielen, die dann auch für die Lokomotivführer verbindlich wären.

An diesem Donnerstag sitzen EVG und Bahn wieder am Verhandlungstisch, um die komplizierte Materie zu besprechen. Die GDL hat die für den 27. April vereinbarten Verhandlungsrunde abgesagt. Der Folgetermin 29. April steht bislang noch in den Kalendern beider Seiten. Vielleicht gibt es an diesem Tag ein Wiedersehen.