Analyse: „Wir haben es völlig vermasselt“
New York (dpa) - Es sollte eine Party werden - und dann das: „Wir waren unehrlich. Wir haben es völlig vermasselt.“ Mit diesen Worten eröffnet Volkswagens US-Chef Michael Horn die Präsentation des neuen Passats in Brooklyn.
Angesichts des Abgas-Skandals, der den Konzern in Atem hält, interessiert das neue Auto aber kaum. In den Vereinigten Staaten braut sich gerade jede Menge Unmut zusammen.
Immerhin: Horn ist präsent, bezieht Stellung, entschuldigt sich - auch wenn er vom Teleprompter abliest. Es gibt bereits Spekulationen, dass der erst Anfang 2014 in den USA als Krisenmanager gestartete Vertriebsexperte seinen Schreibtisch schon wieder räumen könnte. Und auch an die Adresse von VW-Konzernchef Martin Winterkorn gibt es bereits Rücktrittsforderungen.
Die letzten Tage dürften eines der finstersten Kapitel der VW-Firmengeschichte darstellen - und der Albtraum für den Konzern geht weiter. Kurz bevor Horn in New York zerknirscht die Bühne betritt, berichten US-Medien, dass der Autokonzern mittlerweile auch ins Visier des US-Justizministeriums geraten sei.
Damit würde sich der ohnehin schon höchst brisante Skandal um manipulierte Abgasmessungen bei Diesel-Autos zum Kriminalfall ausweiten, was für VW ein neuer Tiefpunkt wäre.
Die von den Wolfsburgern bereits zugegebenen Vergehen sind heftig: Mit einer speziellen Software, einem sogenannten Defeat Device, hat VW den Schadstoffausstoß von Diesel-Autos bei Emissionstests gefälscht. Die Luftverpestung soll um das bis zu Vierzigfache höherliegen, als die frisierten Werte vorgaukeln. Es droht eine Strafe der US-Umweltschutzbehörde von bis zu 18 Milliarden Dollar.
Bei dem Passat-Event in New York sind viele verunsicherte VW-Handelspartner im Publikum, für die es nur ein Thema gibt: Wie kann sich der Konzern aus dem Schlamassel befreien?
Das fragen sich auch die US-Medien. „Viele VW-Fahrer sind wütend und fühlen sich betrogen“, schreibt die renommierte „New York Times“. Der Schwindel sei eine große Bedrohung für das Image von VW in den USA.
Die Affäre sorgt auch in Amerika für viel Wirbel und Gesprächsstoff. Die Reaktionen der Käufer waren zunächst ungläubig, dann schlugen sie in offenen Ärger um. Bei vielen Kunden hatte das von Volkswagen mit massiven Werbekampagnen gepushte Versprechen besonders sauberer Diesel-Technologien durchaus verfangen.
Auf Twitter war schon am Wochenende ein Sturm der Empörung losgebrochen. „Habe mein Vertrauen in VW verloren“, kommentierte eine Nutzerin. „Ich fordere volle Entschädigung“, schrieb eine andere. Für den Konzern ist die Situation brandgefährlich - in Kalifornien haben Anwälte bereits die erste Sammelklage auf den Weg gebracht.
Ein Ende der Hiobsbotschaften scheint vorerst nicht in Sicht. Die VW-Aktie ist weiter im freien Fall, der Börsenwert schmilzt milliardenweise dahin. Der US-Kongress kündigte an, sich in einer Anhörung mit dem Fall auseinandersetzen zu wollen. Die US-Regierung zeigte sich „ziemlich besorgt“ über das Verhalten des deutschen Autobauers, sagte ein Sprecher von Präsident Barack Obama.
Die Lage ist absolut kritisch. Der Imageschaden dürfte kaum zu bemessen sein. Im für VW ohnehin problematischen US-Markt einen Fuß auf den Boden zu bekommen, scheint momentan fast unmöglich. Die mittlerweile aus dem Handel genommenen Diesel-Wagen zählten hier bislang zu den wenigen Verkaufsstützen.
Ohne Manipulation wären diese Modelle wohl gar nicht zugelassen worden, vermuten Experten. „Der Software-Trick war der einzige Grund“, schreibt das Fachblatt „Autonews“. Eine derartige Unverfrorenheit würde erklären, warum die US-Ermittler bereit scheinen, ein Exempel zu statuieren.
Zum zu erwartenden EPA-Bußgeld kommen für VW die Gefahr von teuren Zivil- und Sammelklagen sowie mögliche Strafen der US-Justiz. US-Chef Horn verspricht: „Wir werden es wieder gut machen. Wir werden bezahlen.“ Das dürfte allerdings richtig teuer werden. Und ob der Ruf wieder repariert werden kann, steht ohnehin auf einem anderen Blatt.