Analyse Anis Amri und die Salafisten in Berlin-Moabit
Berlin (dpa) - Nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt im Herzen Berlins haben die Ermittler europaweit nach Anis Amri gefahndet, eher der mutmaßliche Attentäter in Italien erschossen wurde.
Doch der Berliner Spur des Tunesiers, der sich seit 2015 kreuz und quer durch Deutschland bewegte, werden die Ermittler weiter nachgehen. Sie führt in das schwer durchschaubare Salafisten-Millieu in der Hauptstadt, in dem sich Amri radikalisiert haben könnte. Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass zumindest eine seiner Anlaufstellen ganz in der Nähe des Tatortes liegt - im Stadtteil Moabit.
In einem Industriegebiet in dem früheren Arbeiterviertel bemächtigte sich der 24-Jährige am Montagnachmittag wohl des Sattelschleppers, mit dem er neben der Gedächtniskirche ein Blutbad anrichtete. Nur 500 Meter Luftlinie oder 15 Minuten Fußweg entfernt liegt eine Moschee, die der Verfassungsschutz als Islamisten-Treffpunkt führt. Beim Islamunterricht sollen dort Muslime - meist Türken und Kaukasier - für den bewaffneten Kampf der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien radikalisiert worden sein. Auch sei Geld für Terroranschläge in Syrien gesammelt worden.
Zweimal bekam der Trägerverein „Fussilet 33“ nach dem Anschlag Besuch von der Polizei. Ein Spezialeinsatzkommando suchte auch hier nach dem Tunesier, gefunden wurde er nicht. Doch der Druck auf den mutmaßlichen Islamisten-Treff dürfte zunehmen. Denn Berlins neuer Innensenator Andreas Geisel (SPD) lässt ein Verbot prüfen und will „schnell zu Ergebnissen kommen“.
Dabei haben die Sicherheitsbehörden den fraglichen Moschee-Verein bereits länger im Blick. 2015 stürmte die Polizei die Räume schon einmal. Ein Imam saß zeitweise in Untersuchungshaft. Gegen fünf Mitglieder wurden Strafverfahren eröffnet, zwei davon seien inzwischen abgeschlossen, sagte Geisel, ohne Details zu nennen.
Die Zahl der Salafisten, die eine besonders radikale Lesart des Islam vertreten, steigt bundesweit. In Berlin zählte der Verfassungsschutz Mitte des Jahres 710 solcher Personen, 380 davon seien gewaltbereit. 73 sogenannte Gefährder gibt es in Berlin, wie Geisel am Freitag erläuterte. Das sind mutmaßliche Islamisten, denen die Sicherheitsbehörden Anschläge zutrauen, die aber in dieser Hinsicht noch nicht aktiv geworden sind. Amri gehörte in diese Kategorie.
Gefährder stehen unter Beobachtung durch Polizei und Verfassungsschutz, wenngleich nicht in jedem Fall ununterbrochen, wie der Fall Amri zeigte. Dessen Kommunikation über Handy und Internet wurde in Berlin, wo er sich öfter aufhielt, bis September 2016 rund ein halbes Jahr observiert. Es bestand der Verdacht, er wolle sich mit Diebstählen Geld besorgen, um sich in Frankreich Waffen für Anschläge zu kaufen. Am 21. September wurde die Observation eingestellt. „Weil nichts festgestellt wurde, was in terroristischen Zusammenhängen stünde“, so Geisel.
Die Berliner Sicherheitsbehörden haben nicht nur die Moschee in Moabit im Blick, sondern auch andere muslimische Gotteshäuser, in denen regelrechte Seminare zur Radikalisierung stattfinden sollen. Deren Beobachtung finde schon seit geraumer Zeit statt, erläuterte der zuständige Senator Geisel. „Sie ist jetzt nach dem Anschlag nicht besonders intensiviert worden.“
Bei der Beobachtung des Moschee-Vereins „Fussilet 33“ mussten die Ermittler indes einen Rückschlag hinnehmen. Denn der rbb veröffentlichte am Donnerstag Bilder einer Überwachungskamera, auf denen nach Darstellung des Senders der Attentäter Amri einige Tage vor und wenige Stunden nach dem Anschlag zu seien sein soll. Am Freitag dementierten die Behörden, der Mann sei nicht Amri. „Die Kamera können wir abbauen, die kennt nun jeder in der Moschee“, sagt ein Ermittler dazu. Womöglich war das aber auch vorher schon so. Denn gegenüber des Moschee-Vereins liegt - eine Polizei-Dienststelle.