Analyse Flugzeugentführung nach Malta - Gaddafis langer Schatten

Valletta/Kairo (dpa) - Es sollte nur ein kurzer Inlandsflug in die libysche Hauptstadt Tripolis werden. Doch für die mehr als hundert Passagiere von Afriqiyah-Airways-Flug 8U209 wurde ein Alptraum wahr - zwei Männer brachten den Airbus in ihre Gewalt und zwangen die Piloten, auf der Mittelmeerinsel Malta zu landen.

Nach mehreren bangen Stunden durften die übrigen 109 Passagiere die entführte Maschine verlassen, die Geiselnehmer ergaben sich den maltesischen Behörden. Was sie mit der Entführung bezweckten, war am späten Freitagnachmittag noch ungeklärt. Ein Hinweis könnte die grüne Fahne sein, die einer der Entführer vor der Flugzeugtür schwenkte. Diese erinnerte an die alte libysche Staatsflagge, die nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi abgeschafft wurde.

Nach Angaben arabischsprachiger und maltesischer Medien bezeichneten sich die Entführer als Unterstützer des 2011 von einer Menschenmenge gelynchten Machthabers. Angeblich sollen sie sich einem libyschen Sender gegenüber zu der bislang jedoch eher unbekannten Gruppe Al-Fatah al-Dschedida bekannt haben. Sie sollen unbestätigten Berichten zufolge auch die Bedingung gestellt haben, dass Gaddafis Sohn Saif al-Islam auf freien Fuß kommt.

Im chaotischen Libyen ist seit dem Sturz Gaddafis, der das Land mehr als 40 Jahre lang in eisernem Griff hielt, keine Ruhe eingekehrt. Keine Regierung konnte das Land stabilisieren. Im Moment konkurrieren zwei Regierungen in West und Ost um die Macht im Land, in dem größtenteils Anarchie herrscht. Das Sagen haben die Starken: Hunderte Milizen, nicht aber offizielle Sicherheitskräfte.

Saif al-Islam war im Sommer 2015 wegen Kriegsverbrechen von einem libyschen Gericht zum Tode verurteilt worden. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass er während der Aufstände 2011 zur Tötung friedlicher Demonstranten aufgerufen und ausländische Söldner angeworben hatte. Außerdem soll das Regime bewaffnete Milizen zur Niederschlagung des Aufstandes gegen Gaddafi eingesetzt haben.

Allerdings konnte das Todesurteil nie ausgeführt werden, weil Saif al-Islam sich seit 2011 in der Hand von Milizen in der Stadt Al-Sintan im Westen Libyens befand. Er erschien niemals persönlich vor den Richtern in Tripolis, sondern nahm zeitweise per Videoschalte an den Verhandlungen teil.

Die lokalen Machthaber in Al-Sintan hatten sich stets geweigert, Al-Islam nach Den Haag oder auch nur an Tripolis auszuliefern. Das Misstrauen gegenüber den Hauptstadtbehörden sitzt tief. Im vergangenen Juli hatte ein Bericht der französischen Zeitung „Le Monde“ für Verwirrung gesorgt, nach dem Al-Islam bereits im April aus dem Gefängnis freigelassen worden sei. Vertreter der Al-Sintans wiesen dies als Gerüchte zurück.

Ob die Entführung von Flug 8U209 nun ein Terrorakt, ein Nebenaspekt der bitteren politischen Fehden in Libyen oder der Versuch war, politisches Asyl in Europa zu erpressen, werden die Ermittlungen zeigen. In einer ersten Pressekonferenz nach Ende der Entführung sagte Maltas Regierungschef Joseph Muscat, zu einem Asylgesuch sei ihm nichts bekannt, auch Forderungen habe es nicht gegeben.