Einigung oder Zerwürfnis? Asylstreit ist für Merkel ein Hochrisikospiel

Berlin (dpa) - Für die SPD ist es eine komfortable Situation. Sie steht am Spielfeldrand und verteilt Haltungsnoten, während sich CDU und CSU gegenseitig beharken. Es geht schon wieder um die Asylpolitik.

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Innenminister Horst Seehofer (CSU) will, dass die Bundespolizei einen Teil der Asylbewerber gleich an der Grenze zurückweist. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will weiter für eine europäische Lösung kämpfen. Doch erst einmal muss sie sich in der eigenen Fraktion durchsetzen. Bei einer Sitzung der Unionsfraktion gab es viel Zuspruch für Seehofers Ideen.

Es ist nach dem Streit um die politische Verantwortung für die Missstände beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) jetzt schon der zweite Konflikt, der das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien belastet.

CSU-Chef Seehofer steht unter Druck. Er will bis zur bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober liefern und den versprochenen Kurswechsel hin zu einer strengeren Flüchtlingspolitik einleiten. Doch auch für Merkel entwickelt sich der Konflikt um den richtigen Weg in der Migrationspolitik zum Hochrisikospiel. Denn auch in der CDU gibt es Unterstützer für die härtere Haltung Seehofers.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist einer von ihnen. Und auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg sagt der „HuffPost“, Flüchtlinge, die in einem anderen Land schon einen Antrag gestellt hätten, an der Grenze abzuweisen, sei nicht rechtswidrig: „Mir ist rätselhaft, wieso es da im Kanzleramt Bedenken gibt.“

Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) - Forderungen aus der CSU gegenüber sonst meist kritisch eingestellt - hätte keine Bedenken gegen Zurückweisungen an der Grenze. Ihr Vizevorsitzender Jörg Radek sagt zwar, eine europäische Lösung mit verbindlichen Regeln wäre zu begrüßen, das sehe er wie die Kanzlerin. Solange die Kontrolle der EU-Außengrenzen aber nicht funktioniere, müsse jeder Nationalstaat in der Lage sein, seine Grenzen zu schützen. Sein Fazit: „Die Zurückweisung ist für uns wichtig, sie ist ein Schritt in die richtige Richtung.“

Die SPD steht in der Grenz-Frage im Prinzip hinter der Kanzlerin. Doch warum sollte sie sich einmischen bei einem so heiklen Thema und einem heftigen uionsinternen Streit? Sie lästern über Seehofers „Desaster“-Plan und fordern wie Merkel eine europäische Lösung, keine nationalen Alleingänge. Es ist eine gewisse Ironie, dass Merkels wichtigster Verbündeter gegen die CSU ausgerechnet die SPD ist.

Steht der Union nun die Wiederauflage des quälenden Asylstreits nach der Flüchtlingskrise 2015 bevor - Stichwort Obergrenze - , der Merkel fast die Macht und CDU und CSU viele Prozentpunkte bei der Bundestagswahl gekostet hat? Könnte die Regierung sogar an der neuen Auseinandersetzung zwischen Kanzlerin und Innenminister scheitern? CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt will nicht auf die Frage antworten, ob Seehofer sein politisches Schicksal mit der Frage verknüpft, ob er die von ihm verlangte Zurückweisung an der Grenze durchsetzen kann. Der CSU-Ehrenvorsitzende und frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hängt die Latte sehr hoch und spricht von einer Schicksalsfrage. „Hier geht es um die politische Substanz der CSU, aber auch um die Umsetzung des Mehrheitswillens der Bevölkerung“, sagt er der Münchner „tz“.

Gut möglich, dass es in der CSU auch führende Politiker gibt, die ein Scheitern der großen Koalition noch vor der Landtagswahl daheim nicht für ein wesentliches Problem halten. Oder vielleicht sogar darauf setzen, um eigene Ziele zu erreichen. Doch der erfahrene Seehofer wird sich keine Illusionen machen: Platzt die Koalition, ist seine Karriere endgültig beendet. Und der ungeliebte Rivale und bayerische Ministerpräsident Markus Söder würde wohl auch CSU-Chef und bekäme damit die ganze Macht in Bayern. Das kann Seehofer kaum wollen.

Auch deswegen poltert er zwar in der CSU-Landesgruppe, er sei nicht bereit, „einen halben Plan mit faulen Kompromissen zu veröffentlichen“, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet. Nur keine Schwäche zeigen. Doch zugleich macht der CSU-Chef öffentlich deutlich, dass auch er an einer raschen Lösung interessiert sei - nur zu seinen Konditionen eben. Denn er weiß: Auch die Kanzlerin ist in einer verzwickten Lage.

Bei einem Scheitern der schwarz-roten Koalition nur wenige Monate nach der quälend langen Regierungsbildung wäre Merkels vierte und wohl letzte Amtszeit schneller als gedacht zu Ende. Damit würde sie als Kanzlerin in die Geschichtsbücher eingehen, die an ihrer einladenden Asylpolitik unter dem Motto „Willlkommenskultur“ gescheitert ist. Das kann sie nicht wollen. Irgendwie sind Merkel und Seehofer also bei allem Streit auch aufeinander angewiesen, wollen sie am Ende nicht beide als Verlierer dastehen.

Merkel setzt sich für ein neues europaweites Asylsystem ein - und will dafür beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel wesentliche Fortschritte erreichen. Auch deswegen dürfte ihr der Streit mit der CSU gerade ungelegen kommen. Sie fürchte, dass nationale Alleingänge zu noch weniger Solidarität in der EU führen könnten, heißt es in der CDU. Abgesehen davon, dass die CSU darauf pocht, dass Zurückweisungen kein nationaler Alleingang wären - die Christsozialen glauben einfach nicht daran, dass es auf dem Gipfel substanzielle Einigungen geben werde, wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagt.

Eine Schlüsselrolle in diesem innenpolitischen Konflikt kommt jetzt einem Gast aus Österreich zu, der für die Kanzlerin ein schwieriger ist. Sebastian Kurz ist Bundeskanzler einer Regierung, an der die rechtspopulistische FPÖ beteiligt ist. In der Migrationspolitik steht er Seehofer näher als Merkel. Am 1. Juli übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft. Auch deswegen ist er am Dienstag zu Gast bei Merkel und an diesem Mittwoch bei Seehofer - beide setzen darauf, dass er bei den jeweilien Zielen in der Asylpolitik hilft.

Was Kurz über Zurückweisungen an der deutschen Grenze denkt, ist auch relevant, weil viele der Zurückgewiesenen erst einmal bei den Österreichern landen würden. Die Österreicher müssten sich dann an das EU-Land wenden, in dem die Schutzsuchenden vielleicht vorher schon registriert worden waren.

Die Unterstützer der Seehofer-Linie wissen das. Sie hoffen, dass dadurch eine Art Domino-Effekt entsteht. Ziel ist es dabei letztlich, die Schutzsuchenden zu entmutigen. Damit sie sich gar nicht erst auf den Weg nach Westeuropa machen.