Analyse Auf der Suche nach den Krawallmachern - und nach Antworten
Berlin (dpa) - Nach dem verheerenden G20-Gipfel-Wochenende laufen auf den Straßen Hamburgs noch Aufräumarbeiten. In den Schaltstellen von Polizei und Regierung werden derweil die politischen Scherben zusammengekehrt.
Große Ratlosigkeit geht um, wie es zu einem solchen Desaster kommen konnte. Und welche Lehren daraus zu ziehen sind.
Wer sind die Täter der Hamburger Krawallnächte?
Darüber ist noch relativ wenig bekannt. Klar ist, dass einige Randalierer aus dem Ausland kamen. Laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) reiste eine Gruppe von Leuten in „mittlerer dreistelliger Größenordnung“ aus anderen EU-Staaten zu den Anti-G20-Protesten ein, vor allem aus Nord- und Südeuropa. Aber auch aus allen Teilen der Republik kamen Anhänger der linken Szene nach Hamburg. Die Suche nach den Tätern läuft noch und gestaltet sich nicht ganz einfach. Steinewerfer und andere wechselten zum Beispiel kurz nach der Tat die Kleidung. De Maizière sagt, vieles sei „wohl organisiert“, „vorbereitet und orchestriert“ gewesen. Bislang wurden laut Hamburger Polizei 186 Menschen festgenommen - 132 davon Deutsche. Der Rest: 8 Franzosen, 7 Italiener, 2 Spanier und weitere Nationalitäten. 225 Menschen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen, 158 davon Deutsche, der Rest Ausländer, darunter 20 Italiener, 17 Franzosen und 3 Spanier. Die sind aber alle wieder frei, ebenso die meisten Festgenommenen.
Wie konnten überhaupt Krawallmacher aus dem Ausland einreisen?
Es gab Grenzkontrollen. Mehrere hundert Menschen wurden laut de Maizière an der Einreise gehindert. Zum Teil habe aber die Rechtsgrundlage gefehlt, um Verdächtige abzuweisen. „Die Betroffenen sind ohne ihre Ausrüstung gereist.“ Durchsuchungen seien so mitunter ins Leere gelaufen. Sie hätten zum Beispiel Zwillen und anderes „Material“ nicht bei sich geführt, sondern vorher auf „klandestinen“ Wegen eingeschleust - und das zum Teil wohl lange vor dem Start der Grenzkontrollen. Schließlich habe sich die linke Szene seit anderthalb bis zwei Jahren auf die Proteste in Hamburg vorbereitet.
Waren die Randalierer denn überhaupt alles Linksextreme?
Das wird in der politischen Debatte nahegelegt. Tatsächlich ist aber noch unklar, ob sich nicht auch andere Leute unter die randalierende Menge gemischt haben: Krawallmacher, Kriminelle oder Hooligans ohne klare politische Ausrichtung. Die Nachforschungen dazu laufen noch. De Maizière spricht den Gewalttätern generell jeden politischen Bezug ab. „Das waren keine Demonstranten. Das waren kriminelle Chaoten.“ Es handele sich nicht um Aktivisten und G20-Gegner. „Sie sind verachtenswerte gewalttätige Extremisten, genauso wie Neonazis das sind und islamistische Terroristen.“ Auch Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) spricht von „linksextremem Terror“.
Würde eine europaweite Datei zu Linksextremisten helfen?
Eine solche fordert Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und beklagt, bislang gebe es keine ausreichende Datengrundlage zu Linksextremisten in Europa. In Deutschland gibt es so etwas schon: Linke Gewalttäter werden seit 2001 in einer bundesweiten Polizei-Datei erfasst. Diese sei auch rund um den G20-Gipfel zum Einsatz gekommen, heißt es aus dem Innenministerium. Die deutschen Sicherheitsbehörden tauschten vor Großereignissen wie G20 auch ohnehin immer Informationen über Verdächtige aus. Wenn das nun mit einer neuen EU-weiten Datei passieren solle, dann bitteschön. Aber dazu müssten zuerst zahlreiche Details geklärt werden, heißt es im Ministerium.
Hätten die Krawalle verhindert werden können?
Die Ausschreitungen kamen keineswegs überraschend. Gipfel dieser Art sind seit jeher Schauplatz heftiger Proteste. In einer Großstadt wie Hamburg sind sie ungleich schwieriger zu kontrollieren als an entlegenen Orten - noch dazu in direkter Nachbarschaft zu einer der Hochburgen der linken Szene in Deutschland. Polizei und Geheimdienste hatten sich von vorneherein auf mächtige Ausschreitungen eingestellt. Dass die Täter in kleinen Gruppen für große Polizeieinheiten schwer zu greifen sind, ist nicht neu. Und dass es gerade im Schanzenviertel knallen könnte, war ebenso abzusehen. Es stellt sich deshalb die Frage, warum Randalierer dort trotzdem über Stunden fast ungestört wüten konnten, bis die Polizei vorrückte. Kritiker werfen den Sicherheitsbehörden Totalversagen vor. Sie meinen auch, Hamburg hätte nie Gipfelort werden dürfen. De Maizière beschwert sich dagegen über nachträgliche „Besserwisserei“ und verteidigt die Ortswahl.
Wäre das Chaos denn ausgeblieben mit mehr Polizisten?
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter meint Nein. Es sei mit mehr als 20 000 Polizisten schon nicht gelungen, die Stadt vor 1500 linken Kriminellen zu schützen, sagt Verbandschef André Schulz. „Was wäre eigentlich passiert, wenn tatsächlich die prognostizierten 8000 linken Gewalttäter nach Hamburg gekommen wären und es an verschiedenen Orten der Stadt gleichzeitig zu Ausschreitungen gekommen wäre? Man mag es sich nicht ausmalen.“ Es stellt sich die Frage, ob und wie viel mehr Polizisten verfügbar gewesen wären - und welche Reaktionen es vorab gegeben hätte bei der Botschaft, dass 30 000 oder 40 000 Polizisten den G20-Gipfel schützen. Auf jeden Fall ist viel zu tun bei der Aufarbeitung der Hamburg-Krawalle.