Fragen und Antworten Aus den Augen verloren: Die Fahndung nach Anis Amri

Berlin (dpa) - Der mutmaßliche Attentäter ist tot, doch viele Fragen bleiben. Monatelang hielt der Tunesier Anis Amri deutsche Behörden zum Narren, benutzte sieben Aliasnamen, stellte mehrere Asylanträge, lebte mal in NRW, mal in Baden-Württemberg, mal in Berlin.

Sie ließen ihn gewähren, bis sie ihn schließlich aus den Augen verloren - und er am 19. Dezember mit einem gekaperten Laster in den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche raste.

Warum wurde der Lkw erst am Tag nach der Terrorfahrt untersucht?

Die Polizei begründet das mit einem planmäßigen Vorgehen bei der Spurensicherung. „Es gibt fachliche Qualitätsstandards, wie lange kriminaltechnische Untersuchungen dauern, die halten wir auch konsequent ein“, sagte Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt. Es gehe nicht nur darum, einen Täter festzunehmen, sondern auch darum, die Taten vor Gericht zu beweisen. „Dazu gehört eben auch, dass man nicht Spuren vernichtet, sondern die Standards einhält.“

So brachten die Ermittler den Todeslaster erst in die Halle einer Kaserne, ehe er genau untersucht wurde. Im Fahrerhaus fanden sie schließlich eine Geldbörse, in der sich die Duldungspapiere des Asylbewerbers Amri mit einem Foto fanden. Kritiker meinen, durch den späten Fund der Papiere sei wertvolle Fahndungszeit verschwendet worden. Zunächst hatte die Polizei zudem einen falschen Verdächtigen festgenommen. Die Ermittler in Berlin weisen die Kritik zurück.

Welche Rolle spielt der Moschee-Verein „Fussilet 33“?

Der Verein im Berliner Stadtteil Moabit ist den Behörden schon länger als Islamistentreffpunkt bekannt. Auch Amri soll dort verkehrt sein, könnte sich hier auch radikalisiert haben. Nun prüfen die Berliner Behörden ein mögliches schnelles Verbot. Darüber war bereits 2015 diskutiert worden, damals aber zunächst nicht weiter verfolgt worden.

In dem Moschee-Verein, dessen Räume bei der Suche nach Amri mindestens zweimal Ziel der Fahnder waren, sollen Muslime laut Verfassungsschutz beim Islamunterricht für den bewaffneten Kampf der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien radikalisiert worden sein. In der Einrichtung soll auch Geld für Terroranschläge in Syrien gesammelt worden sein.

Wie kam Amri nach dem Attentat nach Italien?

Wann und wie er Berlin verlassen hat, ist nicht bekannt. Am Freitag gegen 3.30 Uhr in der Nacht wurde er von Polizisten in der Nähe des Bahnhofs der italienischen Stadt Sesto San Giovanni im Großraum Mailand gesehen. Das war seine letzte Station. Zumindest ein Teil seines Weges dorthin ist bekannt. Er soll nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur Ansa über Frankreich und Turin mit der Bahn nach Mailand gefahren sein. Darauf habe er sich nach Sesto San Giovanni begeben, wo er wenig später erschossen wurde.

Wo war er in der Zwischenzeit seit dem Anschlag?

Das ist nicht bekannt. Noch am Freitagmorgen schien es Hinweise zu geben, dass sich der Attentäter noch in Berlin aufhalten könnte. So erhielt der Moschee-Verein „Fussilet 33“ nochmals Polizei-Besuch. Wie sich kurz darauf herausstellte, war er zu dem Zeitpunkt schon tot.

Wenige Stunden zuvor hatte der Berliner Fernsehsender rbb Bilder einer Videokamera veröffentlicht, die den den Terrorverdächtigen wenige Tage vor und einige Zeit nach der Tat am Montagabend vor dem Moschee-Verein „Fussilet 33“ zeigen sollten. Am Freitag dementierte das Landeskriminalamt. Auf den Bildern einer Überwachungskamera gegenüber der Moschee sei nicht Amri.

Wo war er vor dem Anschlag?

Amri kam im Juli 2015 nach Deutschland. Nach Erkenntnissen der Behörden in NRW und Berlin tauchte er erst in Freiburg auf, dann in Nordrhein-Westfalen und schließlich in Berlin, wo er von Februar 2016 bis September überwiegend gelebt haben soll. Er war auch an anderen Orten wie Karlsruhe und Hildesheim, verwendete sieben Identitäten und beantragte mehrfach Asyl, zuletzt im Mai 2016 in Oberhausen. In Berlin wurde vom 5. April bis 21. September seine Kommunikation per Handy oder Internet überwacht, weil er als Gefährder eingestuft war und der Verdacht verstand, er wolle sich in der Islamistenszene Frankreichs Schusswaffen für einen Anschlag besorgen.

Das Ergebnis war eher bescheiden. Die verdeckte Überwachung habe lediglich Hinweise geliefert, dass Amri als Kleindealer für Drogen im Görlitzer Park tätig sein könnte, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Daher sei sie schließlich eingestellt worden.

In einem Video, das zum Herbst hin am Berliner Nordhafen aufgenommen sein könnte, schwört Amri dem IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue. Die Echtheit der Aufnahme wird aber nicht unabhängig bestätigt.