Bluff oder Crash-Kurs? Geldgeber rätseln über Tsipras
Brüssel/Athen (dpa) - Ist das alles nur Bluff? Diplomaten reiben sich in Brüssel die Augen, als sie die Worte von Premier Alexis Tsipras aus Athen vernehmen.
Die griechische Regierung werde geduldig warten, bis die Geldgeber des krisengeschüttelten Landes „realistisch“ geworden seien, vertraute der Linkspolitiker einer heimischen Zeitung an.
Die Geldgeber, also EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF), erwarten hingegen von Tsipras kein Abwarten, sondern energisches Handeln. Der Regierungschef solle endlich konkrete (akzeptable) Reformvorschläge machen, um aus der Sackgasse monatelanger, bisher erfolgloser Verhandlungen über ein Reformpaket zu kommen, lautet die Forderung.
Die Zeit läuft ab, jeder Tag zählt. Die Nerven liegen blank. EU-Gipfelchef Donald Tusk hatte darauf gedrungen, dass die Euro-Finanzminister an diesem Donnerstag Entscheidungen über weitere Finanzhilfen für Athen fällen. Falls nicht noch eine Wende der letzten Minute gelingt, wird daraus aber nichts. Denn der Eurogruppe liegt kein Papier der Geldgeberinstitutionen vor.
EU-Kommissionschef und Ex-Euro-Retter Jean-Claude Juncker wollte vor dem wichtigen Treffen der 19 Chef-Kassenhüter den Weg für einen Kompromiss ebnen. Aber auch der geduldige Luxemburger scheiterte am Widerstand der Griechen. Der EU-Veteran äußerte sich zwar enttäuscht, will aber die Türe für eine weitere Vermittlung offen halten. So weit liegen Geldgeber und Griechenland beim Schuldenpoker gar nicht auseinander: Es geht bei den Spar- und Reformmaßnahmen um rund zwei Milliarden Euro jährlich.
Athen macht aus seiner riskanten Zocker-Strategie inzwischen keinen Hehl mehr: Die Partner sollen alles auf die Waage stellen und entscheiden. Was kostet mehr? Ein „Grexit“, also ein Austritt Griechenlands aus dem Euro, oder ein paar Milliarden Euro weniger Sparmaßnahmen für die Griechen und der Verbleib Griechenlands im gemeinsamen Währungsgebiet?
Tsipras, so meinen Diplomaten, wolle den Streit um Reformen und die Rettung vor der Pleite auf den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommender Woche (25. und 26. Juni) bringen. Auf dem Programm des Treffens steht der explosive Konflikt bisher nicht. Der Chef der Linkspartei Syriza hatte bereits im Januar unmittelbar nach seinem Wahlsieg und der Bildung seiner Regierung einen Griechenland-Gipfel gefordert. „Ich wette, es wird am 25. und 26. Juni zum großen Showdown kommen“, orakelt ein Diplomat in Athen.
Das ist ein Szenario, das die EU-Institutionen immer verhindern wollten. Sie pochen weiter darauf, dass an einer Einigung Athens mit den drei Geldgeber-Institutionen kein Weg vorbeiführe.
Experten wenden zudem ein, eine Gipfel-Einigung könnte zu spät kommen. Denn vor einer Auszahlung blockierter Hilfen von 7,2 Milliarden Euro müssten noch nationale Parlamente in mehreren Eurostaaten zustimmen, darunter auch der Deutsche Bundestag. Pünktlich zum Auslaufen des Hilfsprogramms, also am 30. Juni, muss Athen 1,6 Milliarden Euro an den IWF überweisen. Viele trauen Griechenland nicht mehr die nötige Finanzkraft zu.
Und was passiert, wenn Tsipras nicht blufft, sondern den Eklat sucht, das Scheitern? Auch das ist kein Tabu mehr. Die Eurostaaten berieten bereits hinter verschlossenen Türen über Notfallszenarien, unter anderem über Kontrollen des Kapitalverkehrs. EU-Digitalkommissar Günther Oettinger warnt bereits davor, dass Griechenland „zum 1. Juli ein Notstandsgebiet“ werden könne, falls die Verhandlungen nicht doch zu einem Kompromiss führten.
Die EU-Kommission äußert sich zur Forderung nach einem Notfallplan sehr zurückhaltend. Zuständig für dieses Thema seien Juncker, der für den Euro verantwortliche Vizepräsident Valdis Dombrovskis und Währungskommissar Pierre Moscovici, entgegnet ein Sprecher lapidar auf entsprechende Fragen.