Breiviks große Bühne - Prozess um Massenmord beginnt

Oslo (dpa) - Es tue ihm leid - nicht, dass er 77 Norweger kaltblütig tötete, sondern dass bei dem Blutbad nicht noch mehr Menschen starben. Das sagt sein Verteidiger Geir Lippestad. Ab heute steht der mutmaßliche norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik wegen Terrorismus und Mordes vor Gericht.

Fünf Tage lang darf der 33-Jährige sich und seine Ideologie erklären. „Er will seine Taten nicht nur verteidigen, er will sein Bedauern vortragen, dass er nicht noch weiter gegangen ist“, kündigt Lippestad an. Die Norweger sollten sich auf extreme Aussagen gefasst machen.

Dass er im vergangenen Sommer 77 Menschen ermordete, hat Breivik längst gestanden. Für Norwegen war es die schlimmste Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg - ein unfassbares Massaker, das dem Land den Atem nahm. Doch der Attentäter bedauere nichts, sagt Lippestad. „Könnte er wählen, würde er dasselbe noch einmal tun.“ Breivik selbst schreibt aus dem Gefängnis, der Prozess sei für ihn eine „absolut einmalige Möglichkeit, der Welt meine Ideen zu erklären“. Schon in seinem im Internet lancierten Manifest hatte der rechtsextremistische Attentäter beschrieben, wie er den Prozess für seine Sache nutzen will.

Öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen, das war eines der Hauptziele des Blutbades. Dafür ließ Breivik laut Anklage im sommerlich trägen Osloer Regierungsviertel eine gewaltige Bombe explodieren - acht Menschen starben, hunderte wurden verletzt, die Bilder glichen denen aus Kriegsgebieten.

Während die Osloer wie gelähmt waren vor Schock, verwandelte Breivik die nahe Fjordinsel Utøya zur tödlichen Falle für politisch engagierte Jugendliche. Als Polizist verkleidet habe er Dutzende Teilnehmer des Feriencamps der sozialdemokratischen Jugend gezielt erschossen, sagen die Staatsanwälte Inga Bejer Engh und Svein Holden. Beide Verbrechen seien als Terrorakte zu werten. „Der Angeklagte hat ein sehr ernstes Verbrechen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß in der heutigen Zeit in unserem Land begangen.“

Die entscheidende Frage bleibt: Ist Breivik ein kühl kalkulierender Mörder oder ein verwirrter Geisteskranker? Zwei rechtspsychiatrische Gutachten widersprechen sich: Ein Gutachterpaar bezeichnet den 33-Jährigen als paranoid-schizophren, das zweite konnte keinerlei Anzeichen einer Psychose feststellen. Breivik sei zwar ein selbstverliebter, unsozialer Narzist, leide aber nicht unter einer ernsten psychischen Erkrankung. Genau das entscheidet jedoch darüber, ob er für seine Taten ins Gefängnis muss oder in die Psychiatrie.

Zehn Wochen soll der Prozess dauern, das Urteil rechtzeitig vor dem ersten Jahrestag des Attentats vom 22. Juli fallen. 46 Überlebende des Utøya-Blutbades sollen aussagen. Die Verteidiger wollen unter anderem Experten für politische Ideologien und Islamisten aufrufen. Medien sprechen vom größten Prozess in der Geschichte Norwegens. Breiviks Opfer stammten aus dem ganzen Land. Für ihre Angehörigen wird der Prozess in 17 Gerichtsgebäude live übertragen.

Breivik darf hinter einer schutzsicheren Glasscheibe eine Woche lang über seine ideologischen Motive sprechen. Da es keine eindeutige psychologische Einschätzung gebe, sei das wichtigste Beweismittel zu sehen, wie der mutmaßliche Massenmörder selbst vor Gericht auftrete, sagt Lippestad. Ankläger Holden kündigte an, er wolle versuchen, Breiviks Erklärung „auf das zu begrenzen, was relevant für den Prozess ist“.

„Es ist sehr wichtig, dass man ihm Zeit gibt, seine Motive und Gedanken zu erklären“, fordert dagegen Verteidiger Lippestad. Breivik werde „vieles sagen, das nur schwer anzuhören ist. Aber für einen guten Prozess müssen wir da durch.“