Bundesregierung lässt Justiz gegen Böhmermann ermitteln

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die deutsche Justiz ermächtigt, gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu ermitteln.

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Damit gab die CDU-Chefin einem Antrag Erdogans statt - und setzte sich zugleich mit einem Machtwort über den Willen ihres Koalitionspartners SPD hinweg. Zur Begründung sagte sie, im Rechtsstaat sei es nicht Sache der Regierung, sondern unabhängiger Gerichte, Persönlichkeitsrechte gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen.

Merkel kündigte außerdem an, dass die Regierungskoalition den betreffenden Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs noch in dieser Legislaturperiode streichen will, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellt. Die Vorschrift sei „entbehrlich“, sagte sie.

Merkels Entscheidung fiel gegen den Willen der SPD-Spitze und der hinzugezogenen SPD-Minister Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas. Justizminister Maas verwies darauf, dass Erdogan zusätzlich auch als Privatmann Anzeige wegen Beleidigung erstattet habe. Damit sei eine gerichtliche Klärung sichergestellt.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show „Neo Magazin Royale“ (ZDF) ein Gedicht vorgetragen, in dem er Erdogan mit drastischen Worten angriff. Es ging um Sex mit Tieren und Kinderpornografie, überdies wurden Klischees über Türken transportiert. Nach eigener Darstellung wollte Böhmermann damit den Unterschied zwischen erlaubter Satire und beleidigender Schmähkritik aufzeigen.

Der Fall sorgte auch in der Türkei für Empörung. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Akit“ schrieb in ihrem Online-Auftritt: „Erdogan hat's ihm gegeben - Deutschlands Narr wird Rechenschaft ablegen“. Die allermeisten türkischen Medien berichteten aber sachlich.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann erklärte auf Twitter, er halte Merkels Entscheidung für falsch. „Strafverfolgung von Satire wegen „Majestätsbeleidigung“ passt nicht in moderne Demokratie.“

Kritiker werfen insbesondere Merkel vor, wegen der Zusammenarbeit der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu viel Rücksicht auf Ankara zu nehmen. Merkel rügte am Freitag allerdings auch Defizite in der Türkei bei Presse- und Kunstfreiheit. Die Lage der Medien dort, das Schicksal einzelner Journalisten sowie Einschränkungen des Demonstrationsrechts erfüllten sie „mit großer Sorge“.

Die Kanzlerin betonte, im Rechtsstaat bedeute die Erteilung einer Ermächtigung bei diesem speziellen Delikt „weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit“.

Laut Paragraf 103 StGB muss, wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, in Deutschland mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Unabhängig davon bearbeitet die zuständige Staatsanwaltschaft Mainz einen Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung, den er als Privatmann einreichte.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) verteidigte die Entscheidung der Bundesregierung: „Satire darf alles, aber nicht jede Beleidigung ist Satire. Wo die Grenze liegt, entscheiden in unserem Rechtsstaat die Gerichte.“

CSU-Chef Horst Seehofer sprach von einer „Entscheidung für den deutschen Rechtsstaat und seine Unabhängigkeit“. Merkel habe auch die Unterstützung der drei CSU-Minister in der Regierung.

Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht sprach auf Twitter dagegen von einem „unerträglichen Kotau“: „Merkel kuscht vor türkischem Despoten Erdogan und opfert Pressefreiheit in Deutschland.“ Grünen-Parteichef Cem Özdemir sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, er sei „nicht glücklich“ mit der Entscheidung. „Es fühlt sich falsch an, dass es hier eine Sonderbehandlung gibt.“

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte, der Kanzlerin sei der „fragwürdige Kuhhandel“ mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage offensichtlich wichtiger, „als sich vor die eigenen Landsleute zu stellen“.

Der Anwalt Erdogans will voraussichtlich bis Ende des Monats einen Antrag auf Einstweilige Verfügung bei Gericht einreichen. Böhmermann habe es bisher abgelehnt, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Damit sei ein gerichtlicher Weg unvermeidlich, sagte der Münchner Jurist Michael-Hubertus von Sprenger.

Der Antrag auf Einstweilige Verfügung ist unabhängig von dem Strafverfahren gegen Böhmermann, für das am Freitag durch die Entscheidung der Bundesregierung der Weg freigemacht wurde.