Analyse Das Berliner Diesel-Dilemma

Berlin (dpa) - Wenn es für eine Schlüsselbranche der Republik eng wird, lässt das die Politik selten kalt. Da waren die Banken in der globalen Finanzkrise. Nun stecken die deutschen Autobauer in einem andersartigen Strudel.

Die Diesel-Affäre um Abgasbetrug und dreckige Luft in großen Städten frisst am Vertrauen von Millionen Käufern und stellt die Zukunft einer tragenden Technologie in Frage.

Es ist ein Problem „made in Germany“. Hilft die Bundesregierung den stolzen Konzernen beim Diesel-Gipfel trotzdem elegant aus der Patsche? Man könnte man Volkswagen, BMW und Daimler durchaus „systemrelevant“ nennen. Kritiker prangern seit langem eine Kungelei mit der Politik an, die zur bedrohlichen Situation beigetragen habe.

Als einen Beleg dafür kann man E-Mails zwischen Mitarbeitern von Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), Verkehrsministerium und Autobauern sehen. Sie legen nahe, dass Experten der Kontrollbehörde früh bewusst war, wie die Hersteller bei der Abgasreinigung tricksen - sie einen Bericht darüber aber auf Wunsch der Konzerne umformulierten. „Mit industriefreundlichem Gruß“, war da unter anderem zu lesen.

Bereits im November haben Auszüge aus den Mails für große Aufregung gesorgt. Am Montag musste ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums die Absprachen erneut verteidigen, nachdem die „Bild“-Zeitung darüber berichtet hatte. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert prompt, dem KBA Aufgaben zu entziehen. Fast zwei Jahre nach dem Auffliegen des VW-Skandals hat sich die Lage abermals zugespitzt.

Wenn die Autobosse an diesem Mittwoch nach Berlin kommen, lasten über einigen von ihnen noch Kartellvorwürfe, die ebenfalls mit mangelnder Abgasreinigung zu tun haben könnten. „Das Autokartell und „Dieselgate“ haben eine gemeinsame Patin“, donnerte der grüne Ex-Umweltminister Jürgen Trittin - die Regierung Angela Merkels (CDU).

Selbst Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ließ erkennen, die Branche habe sich vielleicht „zu sicher“ fühlen können: „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenheit zu häufig an Distanz zur Automobilindustrie hat mangeln lassen.“

Anzeichen für enge Bande haben Kritiker über die Jahre einige sammeln können. Daimler holte Merkels Staatsminister Eckart von Klaeden (CDU) als Cheflobbyisten. Bei VW heuerte Ex-Vize-Regierungssprecher Thomas Steg an, der auch beste Drähte in die SPD mitbrachte.

Mit dem langjährigen Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, saß Merkel schon in den 90er Jahren zusammen am Kabinettstisch. Brieflich wirbt der einstige CDU-Verkehrsminister denn auch schon mal bei der „lieben Angela“ für Branchenpositionen.

Mit regelmäßigen Parteispenden ist die Autoindustrie ebenfalls präsent - wenn auch nicht als einzige Branche. Daimler überwies im April die seit Jahren üblichen 100 000 Euro jeweils an CDU und SPD. Im Juni gaben die BMW-Großaktionäre Stefan Quandt und Susanne Klatten je 50 001 Euro an die CDU und noch mal an die FDP.

Auch die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Autoland Baden-Württemberg werden inzwischen von der Industrie bedacht, etwa mit 110 000 Euro von Südwestmetall 2016. Bei der SPD spielt Nähe zur IG Metall und zu Auto-Betriebsräten eine Rolle. SPD-Ministerpräsident Stephan Weil ist für den Miteigentümer Niedersachsen Aufsichtsratsmitglied bei VW.

Die Opposition setzte eigens einen Abgas-Untersuchungsausschuss im Bundestag durch, um Kontrollen und Lobby-Einflüsse unter die Lupe zu nehmen. Denn warum deckten US-Behörden den VW-Betrug auf - und nicht das KBA? Zumindest eine Erklärung wurde klar: Weil es schlicht nicht danach suchte. Und die Politik? Vom VW-Skandal erfuhr die Regierung samt Kanzlerin nach eigener Darstellung aus den Medien.

„Staatsversagen“ und „organisiertes Wegschauen“, wettern Grüne und Linke. Im Feuer steht vor allem Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der aber schnelle Aufklärung für sich reklamiert. Seinem KBA hat er inzwischen einige schärfere Zähne eingepflanzt.

Mit markigen Vorwürfen hält sich die Regierung trotzdem eher zurück. Zu wichtig für die Industrienation ist die Autobranche mit ihren fast 800 000 Jobs, die auch noch knapp ein Fünftel des gesamten Exportes trägt.

Inmitten der Diesel-Affäre spendierte der Bund im vorigen Sommer auch schon eine Milliardenspritze für Elektroautos. Künftige Abgaszielmarken müssten ambitioniert sein, machte Merkel im U-Ausschuss deutlich, aber „nicht bis zum Geht-nicht-mehr“. Dobrindt betonte indes auch bereits 2016: „Partnerschaft ist keine Kumpanei.“

Nun geht es akut um die Zukunft des Diesels. Das berührt Millionen Autobesitzer, denen wegen zu hoher Schadstoffwerte in Innenstädten womöglich Fahrverbote drohen. Und da sind Tausende Beschäftigte, die vor einem ungewissen Wandel zu neuen Antriebstechnologien stehen.

Beim Diesel-Gipfel befindet sich die Politik denn auch in einem Dilemma. Bei illegalen Abgas-Praktiken herrscht erhöhte Wachsamkeit. Das machte Dobrindt in der vergangenen Woche mit einem rigorosen Zulassungsverbot für ein Modell des Porsche Cayenne klar. Die Regierung besteht auch darauf, dass die Hersteller angestrebte Nachrüstungen an Autos komplett bezahlen.

Um ein Abstrafen geht es aber nicht. So sind neue Fördertöpfe im Gespräch, auch schon wieder für Anreize zum Kauf saubererer Wagen. Vorschläge für steuerfinanzierte Kaufanreize kommen unter anderem von Horst Seehofer, Ministerpräsident im BMW-Land Bayern, und seinem niedersächsischen Amtskollegen und VW-Aufsichtsrat Weil.

Mit übermäßiger Demut scheint die Branche jedenfalls nicht nach Berlin zu reisen. Er hoffe, der Gipfel werde „eine ernsthafte Angelegenheit“, mahnte VW-Chef Matthias Müller vorab. „Keine Inszenierung, kein Wahlkampfthema.“