Mehrere Wackelkandidaten Das lange Ende von „Obamacare“: Republikaner tun sich schwer
Washington (dpa) - Das neue Gesundheitszentrum in Fort Yukon ist häufiger zu als geöffnet. In dem 800-Einwohner-Dorf in Alaska, knapp nördlich des Polarkreises gelegen, sind die Behandlungstermine strikt limitiert.
Ärzte, Schwestern und auch Arzneimittel müssen mit dem Buschflieger aus den größeren Städten gebracht werden, aus Anchorage etwa oder Fairbanks.
Schon der Bau des Zentrums war nicht so einfach. Mehr als acht Millionen Dollar kostete die Krankenstation, die der damalige Präsident Barack Obama 2008 dem praktisch ausschließlich von Ureinwohnern bewohnten und nicht ans Straßennetz angeschlossenen Gebiet am Yukon-Fluss geschenkt hatte. Vorher hatten die Ärzte ihre Patienten in zwei Containern versorgt - vom Gipsverband bis zur Geburtshilfe.
Gesundheitsversorgung im US-Bundesstaat Alaska ist eine Herausforderung. Die 740 000 Einwohner sind auf eine Fläche verteilt, die mehr als vier Mal so groß ist wie Deutschland. Und dieser Umstand könnte nun massive politische Verwicklungen nach sich ziehen. Die Vertreterin Alaskas im US-Senat, Lisa Murkowski, gilt neben ihrer Kollegin Susan Collins aus Maine als größte Wackelkandidatin bei der Frage, ob es US-Präsident Donald Trump und seinen Republikanern doch noch gelingt, das ungeliebte Gesundheitsversorgungsgesetz, bekannt unter dem Titel „Obamacare“, abzuschaffen und zu ersetzen.
Nach mehreren erfolglosen Anläufen bleibt dafür noch bis 30. September Zeit - danach rücken geänderte Mehrheitsregelungen im Senat einen Abstimmungserfolg der Republikaner in unerreichbare Ferne. Schon jetzt haben Rand Paul (Kentucky) und John McCain aus Arizona erklärt, nicht für den Vorschlag ihrer Kollegen Lindsey Graham und Bill Cassidy zu stimmen. Damit bleibt den Republikanern kein Spielraum mehr. Kein weiterer Senator darf sich querstellen, sonst ist das Scheitern perfekt - nach sieben Jahren des Lamentierens über die Probleme von „Obamcare“.
Alaskas Senatorin Lisa Murkowski hat große Bauchschmerzen. Schon bei früheren Runden hatte sie sich in den Weg gestellt. Der neueste Vorschlag würde bedeuten, dass Alaska über Bundesstaats-Pauschalen für die Jahre 2020 bis 2026 eine Milliarde Dollar weniger vom Bund für die Gesundheit zur Verfügung gestellt bekäme.
Jedem Einwohner von Alaska stünden mehr als 1300 Dollar weniger für die Gesundheit zur Verfügung. Die Versorgung in dem riesigen, mit sozialen Problemen reich bestückten Staat würde zusammenbrechen. In anderen strukturschwachen Staaten, in Maine etwa oder in Utah, herrschen ähnliche, wenngleich nicht ganz so drastische Probleme.
Im fernen Washington stehen diese Sorgen nicht ganz oben. Die Senatoren um den republikanischen Mehrheitsführer Mitch McConnell wollen mit aller Macht ein Gesetz durchpeitschen. McConnell wisse wohl, dass er scheitern kann. Er wolle sich aber nicht nachsagen lassen, es nicht noch einmal versucht zu haben, wird kolportiert. So groß ist der Druck auf die Parlamentarier in der Hauptstadt geworden. Acht Monate Donald Trump - und immer noch kein wesentliches Vorhaben in ein Gesetz gegossen. Das ist fast ein Negativrekord, zumal die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern halten.
Hinzu kommt, dass Trump selbst mit einem geschickten Schachzug den Druck erhöht hat. Als die in sich völlig zerstrittenen Republikaner bei der Diskussion um die Schuldenobergrenze nicht zu Potte kamen, holte der Präsident in einem Überraschungscoup die oppositionellen Demokraten ins Boot und stellte so eine Mehrheit her. Die alten Politfüchse in Senat und Abgeordnetenhaus standen im Regen.
Die Umfragewerte der Parlamentarier, von denen viele 2018 zur Neuwahl anstehen, sind noch schlechter als die von Trump. Die hatten sich zuletzt zwar ganz leicht erholt, sind jedoch noch immer extrem schwach. Ausgerechnet von den Demokraten gefoppt worden zu sein, die bis dahin eher glücklos gegen einen schwachen Trump agiert hatten, schmerzt die Republikaner doppelt.
So scheint es für viele in der republikanischen Partei schon fast egal, was in dem Gesetz steht - wenn es denn nur eine Mehrheit fände und endlich ein Arbeitsnachweis geführt werden könnten. Donald Trump stellte sich hinter den Vorschlag. Er sei „great“, twitterte der Präsident - was auch sonst.
Die Autoren des Entwurfes, Lindsey Graham und Bill Cassidy, sollen nach Medienberichten schon bereit sein, Zugeständnisse zu machen. Ausnahmeregelungen für Alaska seien im Gespräch, so dass die Menschen dort zumindest ihre Steuerfreibeträge aus „Obamacare“ behalten können. Auf diese Weise will man Lisa Murkowski und auch ihren Kollegen Dan Sullivan doch noch ins Boot holen.
Doch das Eis ist dünn - Senatoren anderer Staaten könnten sofort Lunte riechen und ihrerseits Sonderwünsche anmelden. Dann wäre das Gesetz praktisch implodiert, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt. Donald Trump und seine Republikaner stünden dann wieder ohne Erfolg da.
Für die Menschen im fernen Alaska wäre dann zwar das Schlimmste abgewendet, aber auch nichts gewonnen. „Obamacare“ ächzt an allen Ecken und Enden, die Versicherer reagieren mit drastischen Prämien-Erhöhungen. Dass es in der Zukunft zu einem parteiübergreifenden Kompromiss kommt, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren können, steht derzeit nicht in Aussicht.