Porträt Deniz Yücel - unbequemer „Welt“-Korrespondent in der Türkei
Istanbul (dpa) - Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sich im September 2015 am Istanbuler Atatürk-Flughafen eine Gruppe um den Grünen-Chef Cem Özdemir traf, um in die Kurdengebiete zu reisen. „We lt“-Korrespondent Deniz Yücel kam als letzter, Bart und Haare leicht zauselig.
Yücel war gerade von irgendwo anders aus der Türkei eingeflogen und völlig fertig, eigentlich gehörte er ins Bett. Doch Yücel kommt dem Bild des rasenden Reporters nahe, zumindest dem des rastlosen. Auf dem Flug erwachten seine Lebensgeister, ab der ersten Zigarette nach der Landung in Mardin waren sie wieder voll da.
Vor seinem Wechsel zur „Welt“ war der deutsch-türkische Journalist aus dem hessischen Flörsheim bei der linken „Jungle World“ und bei der „tageszeitung“. In seinen „taz“-Kolumnen provozierte er mit Aussagen wie dieser: „Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.“ Eine Kolumne, in der Yücel dem umstrittenen SPD-Politiker und Buchautor Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) einen Schlaganfall wünschte, kostete die „taz“ eine empfindliche Entschädigung.
Die Befürchtung unter deutschen Korrespondenten in Istanbul, als Yücel im Frühjahr 2015 für die „Welt“ in die Türkei kam: Wenn dieser Yücel bei seiner Türkei-Berichterstattung einen ähnlichen Stil wie in seinen „taz“-Kolumnen pflegt, dann wird es bald Ärger geben. Doch er polterte nicht. Im Gegenteil.
Yücel übte Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdogan, seine Berichte waren aber nicht auf Provokation ausgelegt, sondern auf Information seiner Leser. Aus seinen oft nachdenklichen Texten schimmerte Yücels Liebe zum Land und sein Schmerz über dessen Entwicklung durch. Seine Berichte sind ausgesprochen kenntnisreich. Was sie nach deutschen Maßstäben aber nicht waren: Terrorpropaganda oder Volksverhetzung - Vorwürfe, die Yücel nun U-Haft eingebracht haben.
Yücel spricht fließend Türkisch, und wenn er nicht eingesperrt wird, geht er dorthin, wo es wehtut. Ganz sicher ist er nicht kontaktscheu. Der 43-Jährige kennt Hinz und Kunz in der Türkei, dass das vor allem für das oppositionelle Lager gilt, liegt auch daran, dass die Regierungsseite den Kontakt zu internationalen Medien scheut.
Erdogans AKP rieb sich schon lange an Yücel. Der Abgeordnete Mustafa Yeneroglu warf ihm vor, „mehr Aktivist als Journalist“ zu sein. „Seine Berichte über die Türkei sind meistens von tiefen persönlichen Ressentiments geprägt, entsprechend auch extrem verzerrt, er fokussiert und überspitzt, wo es in sein Bild passt und blendet aus, wo es dem eigenen Weltbild nicht entspricht.“ Dennoch sieht auch Yeneroglu die U-Haft für Yücel „kritisch“. Und er findet, „dass der Propagandabegriff zu weit ausgelegt worden ist“.
Der Ärger fing allerdings schon lange vor Yücels Inhaftierung an. Vor gut einem Jahr stellte Yücel bei einer Pressekonferenz mit dem damaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu und mit Kanzlerin Angela Merkel eine kritische Frage. Vom türkischen Regierungschef wurde er dafür abgewatscht. Regierungsnahe Medien beschimpften Yücel anschließend als „Türkei-Gegner“. Und sie gruben ein Interview mit Cemil Bayik aus, dem operativen Anführer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, den Yücel im August 2015 im Nordirak traf.
Das Interview brachte Yücel den Vorwurf ein, PKK-Sympathisant zu sein, und wird nun auch in der Begründung für die U-Haft angeführt. Angesichts der Anfeindungen nach der Pressekonferenz zog die „Welt“ ihren Korrespondenten vorübergehend ab. Erst Wochen später kehrte Yücel zurück, er bangte darum, ob er problemlos würde einreisen können. Das gelang, kurz sah es sogar so aus, als würde er von der Regierung akkreditiert werden. Doch den amtlichen Presseausweis - der in der Türkei zumindest noch etwas Schutz bietet - bekam Yücel nie.
Dass der Journalist ohne Akkreditierung bleiben durfte, liegt daran, dass er neben dem deutschen auch den türkischen Pass hat, weswegen die Regierung ihn nicht ausweisen kann. Deswegen ist er aus Sicht der türkischen Behörden allerdings auch ein einheimischer Journalist und kein ausländischer Korrespondent. Die Menschenrechtsanwältin Seyran Ates sagte im Deutschlandradio Kultur: „Die doppelte Staatsangehörigkeit wird ihm zum Verhängnis in diesem Fall.“