Der Fall Guttenberg und die Suche nach der wahren Promotion
Bayreuth/Berlin (dpa) - Das Urteil der Universität Bayreuth kann vernichtender kaum sein: Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat weite Teile seiner Doktorarbeit planmäßig abgeschrieben und vorsätzlich getäuscht.
48 Passagen listet die Selbstkontrollkommission der Wissenschaft der bayerischen Universität in der 475 Seiten umfassenden Dissertation auf, die Guttenberg wortwörtlich übernommen hat, ohne die Autoren eindeutig zu zitieren.
„Fälschungen durchziehen die Arbeit als werkprägendes Arbeitsmuster“, urteilte der Kommissionsvorsitzende Stephan Rixen. Die Einlassung Guttenbergs, der Fahrlässigkeit und Schlamperei mit Dauerstress als junger Familienvater und Politiker zu entschuldigen sucht, sieht Rixen durch die Fülle von Einzelplagiaten widerlegt. „Wer jahrelang akzeptiert, dass er Sorgfaltsstandards nicht einhält, handelt nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich, weil er die Verletzung der Sorgfaltspflicht zum bewussten Arbeitsstil erhebt“, lautet das Fazit der Kommission.
Doch der Streit um Guttenbergs Dissertation ist kein Einzelfall, wie auch aktuelle Debatten um andere Promotionen zeigen. In den vergangenen Wochen hatten sich ähnliche Angriffe gegen die Doktorarbeit der FDP-Vorzeigefrau Silvana Koch-Mehrin gerichtet. Am Mittwochabend trat sie deswegen von ihren Ämtern in EU-Parlament und Partei zurück. Sie will „nun vertraulich, fair, nach rechtsstaatlichen Maßstäben und ohne Ansehen der Person“ die Vorwürfe von der Uni Heidelberg prüfen lassen.
Konflikte um die Rechtmäßigkeit des begehrten Doktortitels finden sich immer wieder in der langen Universitätsgeschichte. Nicht selten landet der Streit um die Aberkennung des akademischen Grades auch vor dem Kadi, wie der Deutsche Anwaltsverein zu berichten weiß. Der Promotionsexperte und Münchner Wirtschaftsprofessor Manuel René Theisen geht davon aus, dass es bei bis zu 300 der rund 25 000 neuen Promotionen pro Jahr unredlich zugeht.
Seit gut 100 Jahren kennt man auch in Deutschland einen schwarzen Markt für akademische Abschlüsse exotischer ausländischer Universitäten - meist aus Zwergstaaten. In den 50er und 60er Jahren füllten Geschichten über schillernde Titel-Händler die Illustrierten. Vor allem in den 80er und 90er Jahren boomte dann der Markt für „Promotionsberater“, deren Jahresumsatz Theisen seinerzeit auf rund 25 Millionen Mark (12,8 Mio. Euro) schätzte. Die Kunden: in der Regel Führungskräfte zwischen 30 und 50 Jahren, darunter viele Juristen, Betriebswirte, Manager und auch Mediziner, die es versäumt hatten, gleich nach dem ersten Hochschulexamen die drei- bis vierjährige „Ochsentour“ für die Promotion anzuhängen.
Offiziell ging es dabei stets nur um die Vermittlung von Ratgebern - und nicht um die bei der Promotion verbotenen Ghostwriter. Im Rahmen eines schwunghaften Titelhandels wurde 2008 in einem spektakulären Prozess ein beteiligter Jura-Professor aus Niedersachsen zu drei Jahren Haft verurteilt.
Doch mit der digitalen Textverarbeitung und den Möglichkeiten der Internet-Recherche hat heute der Diebstahl geistigen Eigentums Anderer eine neue Dimension bekommen. Neu ist aber auch, dass sich dieses Abkupfern mit einer entsprechenden Plagiatssoftware und vor allem einen aufmerksamen Internet-Gemeinde viel schneller enttarnen lässt.
Zunächst war im Fall von Guttenberg nur von einigen wenigen Plagiaten die Rede, doch die ehrenamtlichen Mitarbeiter des „Guttenplag-Wikis“ trugen zahlreiche Stellen zusammen, wo Guttenberg abgekupfert haben könnte. „Plagiate gehen einfach nicht“, sagt der anonym bleiben wollende Initiator der Nachrichtenagentur dpa. Dem Internet-Projekt gehe es nicht um persönliche Angriffe, sondern um die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit. „Als Wissenschaftler und Studenten müssen wir schließlich selbst ordentlich arbeiten“. Auf die gleiche Weise nahm „VroniPlag Wiki“ die Dissertation der FDP-Europapolitikerin Koch-Mehrin unter die Lupe.
Der Münchner Theisen kämpft seit mehr als 20 Jahren gegen unredliche Promotionen und arbeitet dabei mit der Rektorenkonferenz und auch dem Deutschen Hochschulverband zusammen. Neu ist die Unterstützung aus dem Internet - die aber auch Gefahren birgt, weil ein dort formulierter Verdacht auch schnell zum Selbstläufer werden kann. Die Möglichkeiten für Betroffene, sich dann zu wehren, sind eingeschränkt. Der Hochschulverband - die Berufsorganisation von über 26 000 Universitätsprofessoren - warnt deshalb auch schon vor vorschnellen Verurteilungen.
In den klaren Worten der Universität Bayreuth zum Fall Guttenberg sieht der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, jetzt einen Beleg dafür, „dass das Prinzip Selbstkontrolle in der Wissenschaft funktioniert“. Das Ergebnis baue auf anerkannte Regeln guter wissenschaftlicher Arbeit, sagte Kleiner der dpa. Alles andere wäre auch eine schlechte Botschaft an die vielen jungen Menschen, die redlich an ihrer Promotion arbeiteten.
Gute Promotionen - so Kleiner - entstünden dort, wo es „einen regen Austausch zwischen Doktorand und Doktorvater gibt und dabei auch die persönliche Identifikation mit dem Forschungsthema deutlich wird“. Seine Aussage will der DFG-Präsident allerdings nicht als Kritik an externen Promotionen von Bewerbern außerhalb des Forschungsprozesses der Hochschule verstanden wissen. Doch sei hier besondere Vorsicht angebracht. „Nicht in Einsamkeit, aber in Freiheit soll eine Promotion entstehen.“