„Erzfreunde“ unter sich Der Gipfel der starken Männer
Helsinki (dpa) - Die wohl mächtigsten Männer der Welt stehen vor ihren rot-blau-weißen Flaggen und verkünden die Stunde Null der amerikanisch-russischen Beziehungen.
Das Verhältnis der weltgrößten Atommächte sei nie schlechter gewesen - bis vor ein paar Stunden, bis zu diesem denkwürdigen Treffen mit Wladimir Putin, sagt Donald Trump.
Trump nutzt die größtmögliche Bühne, um gegen die Russland-Ermittlungen in den USA zu wettern. Sie seien eine Katastrophe, wirkten sich negativ auf die Beziehungen der beiden Länder aus. Das sagt er, nachdem sein eigenes Justizministerium vor vier Tagen Anklage gegen zwölf russische Geheimdienstmitarbeiter erhoben hat.
Vor den Augen der Welt will Trump ein Thema abräumen, das seit seinem Amtsantritt wie ein Damoklesschwert über seiner Präsidentschaft hängt: Der Verdacht, Putins Geheimdienst könne bei der Wahl des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten seine Finger im Spiel gehabt haben. Russland könne ihm, Trump, geholfen und seiner Konkurrentin Hillary Clinton geschadet haben. Putin streitet jede Einmischung ab. Trump betont, es habe keine gemeinsamen Absprachen gegeben. „Ich habe großes Vertrauen in meine Geheimdienstleute. Aber ich werde Ihnen sagen, dass Präsident Putin in seinem Dementi heute extrem stark und kraftvoll war“, sagt der US-Präsident. Beide Parteien widersprechen sich. Doch Trump sagt: Er vertraue beiden.
Sein Nationaler Geheimdienstkoordinator Dan Coats sieht das anders. Wenige Stunden nach der Pressekonferenz veröffentlicht er eine Mitteilung, in der er klarstellt, dass sich an der Beurteilung der Dienste nichts geändert habe. „Wir sind in unseren Einschätzungen der russischen Einmischung bei der Wahl 2016 und den anhaltenden tiefgreifenden Bemühungen zur Aushöhlung unserer Demokratie deutlich gewesen“, erklärt er. „Wir werden weiterhin ungeschminkte und objektive Informationen zur Unterstützung unserer nationalen Sicherheit liefern.“ Es sind ungewohnt deutliche Worte.
Was die beiden Präsidenten nach ihrem ersten Gipfel auf großer Bühne sagen, wirkt wie eine Verbrüderung - auch ohne demonstratives Schulterklopfen. Einmal rutscht Putin sogar ein „Donald“ raus. Die Inszenierung an diesem für Helsinki heißesten Tag seit Jahren erinnert oberflächlich zwar ein wenig an früher im Kalten Krieg: Die Staatschefs der großen Atommächte Russland und USA treffen sich auf neutralem Boden.
Doch dann auch wieder nicht. Denn die beiden Präsidenten scheinen eine seltsame Verbundenheit, einen angesichts der Spannungen zwischen ihren Ländern ungewöhnlichen Respekt voreinander zu haben. Ihr Händedruck vor dem Vier-Augen-Gespräch ist kräftig, doch kein Kräftemessen. Entschlossen scheinen sie der Welt zeigen zu wollen: Wir sind starke Männer - und wir verstehen uns. „Der Kalte Krieg ist vorbei“, betont Putin.
Trump scheint Putin jedes Mal großzügig das erste Wort zu lassen. Putin lächelt. Der Ex-KGB-Agent hat den US-Präsidenten bei der Ankunft erstmal warten lassen. Danach wartete Putin im Präsidentenpalast auf Trump. Zeit ist ein Teil des Machtspiels bei solchen Gipfeln. Beim Hinsetzen spreizt Putin die Beine und bleibt selbstbewusst wortkarg. Trump dagegen kommt ins Reden. Wie angespannt er ist, sieht man, als er sich kurzzeitig mit beiden Händen am Jackett festkrallt. Die Fingerspitzen tippen aufeinander, der Blick wandert durch den Raum.
Trump behandelt seinen russischen Kollegen betont auf Augenhöhe. Etwas, das er bei Angela Merkel und Theresa May zuletzt nicht tat. Die deutsche Kanzlerin und die britische Premierministerin degradierte und demütigte er, nannte Deutschland wegen russischer Gaslieferungen einen „Gefangenen“ Moskaus, fiel May in den Rücken, indem er ihren Brexit-Kurs kritisierte. Die anderen Nato-Partner trieb er beim Gipfel in Brüssel vor sich her.
Mit Putin geht er anders um - und steht dabei im Widerspruch zum Kurs seiner eigenen Regierung. Die verhängt Sanktionen, weist Diplomaten aus, liefert Waffen an die Ukraine, warnt und kritisiert Moskau, so wie es eigentlich Tradition ist unter Republikanern. Doch was Russland angeht, geht der US-Präsident - egal welche Warnsignale seine Regierung aufstellt - völlig unbeirrt seinen eigenen Weg.
In vielem scheinen Trump und Putin, die nach außen so unterschiedlich sind, aus gleichem Holz. Beiden haben einen starken Hang zur Autokratie und zu populistischen Reflexen. Große Redner dagegen sind sie nicht. Vor dem Treffen wünschte sich Trump: „Hoffentlich wird er eines Tages vielleicht ein Freund sein - könnte passieren.“ Derzeit seien sie vor allem Konkurrenten, doch keine Feinde. „Erzfreunde oder beste Feinde“, schreibt eine russische Zeitung.
Inhaltlich steht bei diesem Gipfel am Ende wenig. Die großen Probleme bleiben, eine konkrete Annäherung in zentralen Punkten ist nicht erkennbar: An der russischen Rolle im blutigen Bürgerkrieg in Syrien wird sich genauso wenig ändern wie an der Unterstützung der Separatisten bei den Kämpfen in der Ostukraine. Washingtons Sanktionen bleiben in Kraft, das russische Konsulat in Seattle geschlossen, das amerikanische in St. Petersburg ebenso.
Aber Putin kann das Treffen trotzdem als Erfolg zu verkaufen. Schon die Tatsache, dass es überhaupt zu einer Pressekonferenz kam, die Flaggen beider Länder nebeneinander standen als ebenbürtige Partner, ist ein Punktsieg.
Trump hingegen erntet selbst aus den Reihen der Republikaner Kritik für seinen Auftritt. Der konservative Senator Lindsey Graham spricht von einer „verpassten Chance“, Russland zur Rechenschaft zu ziehen. Republikaner Jeff Flake erklärt, er habe es nie für möglich gehalten, dass eines Tages ein amerikanischer Präsident zusammen mit seinem russischen Amtskollegen auf einer Bühne stehe und die USA für russische Aggressionen verantwortlich mache.
Und selbst der mächtige Vorsitzende des Repräsentantenhaus Paul Ryan, fordert, Trump müsse anerkennen, dass Russland kein Verbündeter der USA sei. Ryan meidet es sonst, auf Distanz zu Trump zu gehen.
Den Schlusspunkt hat Trump vor der Welt da längst so gesetzt, wie er das auch stets auf Twitter tut. Er schleuderte ein „Hexenjagd“ in den Raum. Und ging lächelnd ab. Neben seinem neuen Freund.