Der Sand, in den das Blut floss: Überlebende in Khao Lak

Khao Lak (dpa) - „Überlebt ja, aber nicht überwunden“ - das sagt Claudia Geist aus Xanten, die dem Tod beim Tsunami 2004 in Südthailand nur knapp entkommen ist. An diesem zweiten Weihnachtstag ist sie zurückgekehrt an den Ort des Grauens, aber nicht zum ersten Mal.

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„Hier sein und mit anderen reden, die das erlebt haben, das ist, als wenn man immer wieder einen Puzzlestein hinzufügt“, sagt sie.

Wie viele läuft Geist barfuß in die sanft und leise an den Strand schwappenden Wellen und hält inne. Hier fassen sich Familien an den Händen und blicken auf das Meer hinaus, Freunde halten sich tröstend in den Armen. Eine junge Frau klammert ihr schlafendes Baby an sich. Das schreckliche Donnern und Grollen der herannahenden Tsunamiwelle damals - wie ein ratternder Kieslaster, sagt Geist - das kann sich hier heute kaum jemand vorstellen, der nicht dabei war.

„Das Leben ist nie wieder so gewesen wie vorher“, sagt Geist. „Mit dem Meer habe ich mich ausgesöhnt, aber die Angst vor Gefahr, überall die Suche nach dem Fluchtweg, die Sorge, welcher Schlag wohl als nächstes kommt, das sitzt tief drin.“ Ihr Mann, der wie sie von der Tsunamiwelle erfasst und Hunderte Meter ins Inland gespült wurde, geht anders damit um. Er kehrt nicht an den Ort des Grauens zurück.

Mehr als 1000 Touristen kamen an der Küste von Khao Lak ums Leben. Deutsche Seelsorger verlesen an diesem Morgen im Gedenken an damals Dutzende Namen. Rentnerehepaare sind dabei, ein Vater mit Tochter, Eltern, kleine Kinder. Alle sind beim Urlaub im Paradies aus dem Leben gerissen worden. Eine Frau schreibt in das ausliegende Gedenkbuch ein Gedicht: „Wasser ohne Ende/Quelle des Lebens/Kämpfen um das Leben/Verloren!“ und darunter: „Papa, wir sehen uns wieder.“

Dieter Breiter aus Stuttgart ist zum ersten Mal wieder hier. „Wir waren mit vier Familien hier, 15 Leute“, sagt er. Sieben Menschen aus der Gruppe kehrten nie zurück, darunter seine Frau Martina, damals 39. „Die Ohnmacht war schlimm, wir konnten nicht mal nach unseren Angehörigen suchen“, sagt Breiter.

Er wurde mit seinen beiden Kindern nach Deutschland geflogen. „Das bange Warten, man hofft ja doch auf ein Wunder, obwohl man weiß, es kann kaum sein.“ Seine Frau wurde im März 2005 identifiziert. Er legt eine weiße Lotusblüte in eine Blumenschale am Strand. Dann geht er allein ans Wasser, die Flut kommt gerade rein. „Die Natur, was will man machen“, sagt er leise.

Ben Atréu Flegel hat die Tsunamiwelle als 15-Jähriger überlebt, schwer verletzt. Seine Großeltern kamen um. „Mein Blut ist in diese Erde geflossen“, sagt er. „Was geht in mir vor, wenn ich meine Füße in diesen Sand grabe? Ich spüre keinen Horror und keine Angst, keine Sentimentalität und keinen Kummer“, sagt er. „Aber der Tsunami ist in seiner inneren Fühlbarkeit nicht abgeschlossen.“

Armin Kröpfl ist mit elf Verwandten aus dem Saarland hier. Seine Schwester Lydia kam um. Er ist das erste Mal in Thailand. „Jetzt können wir uns wenigstens den Ort vorstellen, wo sie zuletzt war“, sagt er. Die Familie steckt später am Tsunami-Denkmal ein paar Kilometer weiter nördlich Blumen an eine Erinnerungstafel, die Lydias Namen trägt. Lydias Tochter ist auch dabei, schwanger. Sie hat damals knapp überlebt. „Es gibt neues Leben, das sich seinen Weg gesucht hat“, hat der deutsche Seelsorger morgens gesagt.

Manche Gedenktafeln sind poliert und herausgeputzt, bei anderen sind die Namen kaum noch zu lesen. „Namen erneuern, Namen verblassen lassen - beides kann heilsam sein“, sagt Pfarrer Jörg Dunsbach den Angehörigen und Überlebenden. „Die grellen Eindrücken von damals dürfen verblassen. Die Kanten, die das Leben geschlagen hat, dürfen sich abschleifen. Es ist gut, dass Platz wird für etwas Neues.“